Notfalls rote Linien ziehen Gabriel fordert neue deutsche US-Politik

Berlin (dpa) - Bundesaußenminister Sigmar Gabriel will die deutsche US-Politik neu justieren - und fordert mehr Unabhängigkeit und Selbstbewusstsein gegenüber Washington.

Bundesaußenminister Sigmar Gabriel im November in Washington DC.

Foto: Florian Gärtner

Der SPD-Politiker begründete das in einer Grundsatzrede beim Berliner Forum Außenpolitik der Körberstiftung mit einem „Rückzug der USA unter Donald Trump aus der Rolle des verlässlichen Garanten des westlich geprägten Multilateralismus“.

Im Umfeld der US-Administration herrsche mittlerweile eine „außerordentlich distanzierte Wahrnehmung“ Europas. „Als Wettbewerber und manchmal sogar als mindestens ökonomischer Gegner nimmt man uns dort inzwischen häufig wahr.“ Das habe unmittelbar Konsequenzen auf die deutsche Interessenswahrnehmung. Die „Süddeutsche Zeitung“ hatte zuvor über die Grundsatzrede berichtet.

Die Welt sei aus Sicht der USA nicht länger eine globale Gemeinschaft, sondern eine Arena, in der Nationen, nichtstaatliche Akteure und Unternehmen um Vorteile ringen würden. „Und die USA, so verstehe ich es, sind in dieser Lesart nicht mehr für die Statik und das Gewölbe der Arena zuständig, sondern sind eher Kombattanten auf dem Sandplatz.“

Zwar müssten die USA auch weiterhin wichtigster globaler Partner Berlins bleiben. Aber die Partnerschaft werde nicht reichen, um die strategischen Interessen Deutschlands zu wahren.

Berlin müsse kühl analysieren, wo Deutschland mit den USA „über Kreuz“ liege. Gabriel nannte als Beispiele die vom US-Kongress beschlossenen Russland-Sanktionen, die europäische Wirtschaftsinteressen gefährdeten. Eine Auflösung des Atomabkommens mit dem Iran würde die Kriegsgefahr in der Nachbarschaft Europas erhöhen. Und auch eine Anerkennung Jerusalems als Israels Hauptstadt durch die USA hätte weitreichende Konsequenzen. „Alles, was sozusagen die Krise verschärft, ist kontraproduktiv in diesen Zeiten.“

Europa müsse wegen des Rückzugs der USA handeln und weltpolitisch mehr wagen. „Nur wenn die EU ihre eigenen Interessen definiert und auch ihre Macht projiziert, kann sie auch überleben“, sagte Gabriel. „Die EU, Europa ist kein echter Faktor in der Welt.“ Es gebe aber keinen Platz an der Seitenlinie der internationalen Politik.

Rund ein Jahr nach der Wahl von Trump zum US-Präsidenten werten die Deutschen Frankreich als weit wichtigeren außenpolitischen Partner als die USA. In einer repräsentativen Umfrage im Auftrag der Körber-Stiftung nannten 63 Prozent der Befragten Frankreich als wichtigsten außenpolitischen Partner, nur 43 Prozent die USA.

In der Umfrage vom Vorjahr lagen beide Partner mit je 60 Prozent gleichauf. Die Beziehungen zu den USA und Trump werden nach der Flüchtlingspolitik als größte Herausforderung für die deutsche Außenpolitik genannt.

Das US-Meinungsforschungsinstitut Pew Research Center stellte einige Fragen der Umfrage auch in den USA. Nur zwölf Prozent der US-Bürger sehen demnach Deutschland als wichtigsten Partner an. 56 Prozent der Bundesbürger bewerten die deutsch-amerikanischen Beziehungen als eher oder sehr schlecht, in den USA tun das nur 22 Prozent.

Gabriel forderte für die Zukunft einen „strategischen Interessensausgleich unter Partnern“. Man müsse auch Partnerschaften etwa im US-Kongress, den Bundesstaaten und der Zivilgesellschaft suchen. Auch die US-Gesellschaft verändere sich rapide, sagte Gabriel. Die Mehrheit werde bald keine europäischen, sondern lateinamerikanische, asiatische und afrikanische Wurzeln haben. Das Verhältnis der USA zu Europa werde auch nach der Amtszeit von Trump nicht mehr das sein, was es einmal war.