Viele rote Linien SPD-Parteispitze für Gespräche mit Union

Berlin (dpa) - Die SPD-Spitze will nun doch mit der Union über eine Regierungsbildung sprechen, zieht aber einige rote Linien. Die SPD wolle ein „Maximum“ ihres Wahlprogramms durchsetzen, sagte Parteichef Martin Schulz in Berlin.

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Am Donnerstag soll ein SPD-Parteitag in Berlin grünes Licht für das Ausloten einer möglichen erneuten Zusammenarbeit mit CDU und CSU geben. Vor zwei Wochen hatte die SPD-Führung noch geschlossen gegen eine Neuauflage der großen Koalition gestimmt und sich offen für Neuwahlen gezeigt.

Zu den „essenziellen“ Forderungen, die der SPD-Vorstand bei nur einer Enthaltung beschloss, zählen die Einführung einer Bürgerversicherung, ein humanitärer Familiennachzug bei Flüchtlingen mit eingeschränktem Schutz (was vor allem die CSU ablehnt), ehrgeizige Ziele beim Klimaschutz, eine Solidarrente gegen Altersarmut und ein gesetzliches Rückkehrrecht von Teil- auf Vollzeit.

Der vierseitige Antrag mit der Überschrift „Unser Weg. Für ein modernes und gerechtes Deutschland“ wird nun dem Parteitag zur Abstimmung vorgelegt. Geben die Delegierten ihr Okay, will Schulz sich schon in der kommenden Woche mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und CSU-Chef Horst Seehofer zusammensetzen. An dem Treffen sollen auch SPD-Fraktionschefin Andrea Nahles sowie Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) und CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt teilnehmen.

CDU-Vize Thomas Strobl bezeichnete es als „Irrsinn“, wenn nach einem Jamaika-Bündnis nun auch eine große Koalition nicht zustande käme. An die Adresse der SPD sagte er der „Heilbronner Stimme“: „Um es aber auch klar zu sagen: Eine 21-Prozent-Partei kann nicht 100 Prozent ihres Wahlprogramms durchsetzen. Der große Sozialdemokrat Helmut Schmidt hat gesagt, wer den Kompromiss nicht versteht, hat die Demokratie nicht verstanden.“

Nach den Worten von Schulz werden am 15. Dezember dann die SPD-Spitzengremien die Inhalte des Treffens bewerten und entscheiden, ob und wie weitere Gespräche mit der Union geführt werden. „Es gibt für uns keine Vorfestlegungen und keinen Automatismus“, sagte Schulz. Aus Sicht der SPD gebe es keinen Zeitdruck, weil Deutschland eine handlungsfähige geschäftsführende Regierung habe. Auch Nahles sagte, die Sozialdemokraten wollten sich nicht hetzen lassen. „Es ist jetzt mal wieder an der SPD, den bestmöglichen Weg zu finden, wie wir zu einer konstruktiven Lösung finden können.“

Die SPD erwartet, dass es nicht mehr vor Weihnachten, sondern erst im Januar bei Gesprächen mit der Union ernst wird. Nach einer kurzen, etwa zweiwöchigen Sondierungsphase soll ein kleiner Parteitag (Konvent) einberufen werden, um abzustimmen, ob überhaupt konkret mit der Union über eine Koalition, eine Tolerierung einer Minderheitsregierung, „eine andere Form der Kooperation“ verhandelt werden soll - oder die SPD sich in das Wagnis Neuwahlen stürzt. Sollte ein Koalitionsvertrag mit CDU und CSU zustande kommen, hätten ohnehin die SPD-Mitglieder das letzte Wort.

Wie belastbar die roten Linien tatsächlich sind, wird sich zeigen. Der neue Jusos-Chef Kevin Kühnert kritisierte die Leitlinien der SPD-Spitze prompt als zu weich. Problematisch sei zudem, dass nur ein kleiner Parteitag mit dann 45 stimmberechtigten Vorstandsmitgliedern und 200 Delegierten letztlich über die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen mit CDU und CSU entscheiden solle.

„Wir steuern auf einen schwierigen Prozess zu, bei dem die Partei auch mitgenommen werden muss. Da halte ich die Legitimation des Konvents persönlich für zu gering“, sagte Kühnert. Er favorisiert einen Sonderparteitag. Eine vom SPD-Nachwuchs gestartete Online-Petition „No GroKo“ wurde mittlerweile von mehr als 10 000 Menschen unterzeichnet, darunter viele Parteimitglieder.

Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) sagte am Montag nach dem Vorstandsbeschluss im SWR, sie sehe einige Vorzüge für die Unterstützung einer Minderheitsregierung. Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) ist gegen eine Neuwahl des Bundestages. Dies wäre das „schönste Weihnachtsgeschenk“ für die AfD, schrieb er bei Facebook. „Die Politiker können doch nicht so lange wählen lassen, bis sie mit dem Ergebnis etwas anfangen können.“

Der in der Führung umstrittene, von der Basis aber geschätzte Schulz will sich am Donnerstag beim Parteitag als Vorsitzender wiederwählen lassen - zuvor wird aber über die Gesprächslinie mit der Union abgestimmt.

Schulz sagte, die Partei müsse abwägen, was für das Land und die Partei selbst nach dem Scheitern der Jamaika-Gespräche von Union, FDP und Grünen gut sei. „Diese Güterabwägung machen wir uns schwer“, sagte Schulz. Er hatte noch am Wahlabend nach dem Absturz auf historisch schlechte 20,5 Prozent die SPD auf ihre Rolle in der Opposition festgelegt.

Schulz traf sich bereits am vergangenen Donnerstag auf Einladung von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier mit Merkel und Seehofer in Schloss Bellevue: „Ich habe Frau Merkel in Bellevue tief in die Augen geschaut“, sagte Schulz - verneinte aber Nachfragen, ob er mit Merkel bereits Absprachen über Inhalte eines mögliches Koalitionsvertrages getroffen habe. Er persönlich habe zu Merkel trotz des Wahlkampfs „ausreichend Vertrauen“ aufbauen können, sagte der gescheiterte SPD-Kanzlerkandidat. Auf das Vertrauen zwischen Merkel, Seehofer und ihm komme es aber gar nicht an - sondern inwieweit die SPD sich darauf verlassen könne, dass ihre Politik auch umgesetzt werde.