Gabriel: „Union muss für Koalition jetzt liefern“
Berlin (dpa) - Vor der Schlussphase der Koalitionsverhandlungen hat SPD-Chef Sigmar Gabriel den Druck auf die Union erhöht. Auf dem SPD-Parteitag in Leipzig machte er den Doppelpass für Migranten zu einer weiteren zwingenden Bedingung für eine Regierungsbeteiligung.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mahnte die Sozialdemokraten zur Zurückhaltung. Auch das Thema Mindestlohn bleibt ein zentraler Streitpunkt.
„Ich werde der SPD keinen Koalitionsvertrag vorlegen, in dem die doppelte Staatsbürgerschaft nicht drin ist“, sagte Gabriel vor den Delegierten. „Jetzt müsst Ihr liefern, liebe Leute von der Union.“ Zum Abschluss des dreitägigen Parteitreffens versicherte er in einer kämpferischen Rede: „Ich werde die SPD im 150. Jahr ihres Bestehens nicht in eine Veranstaltung hineinführen, von der ich nicht überzeugt bin.“ Gabriel betonte: „Wir sind nicht zum Nulltarif, wir sind auch nicht zum halben Tarif zu haben.“ Die Delegierten applaudierten ihm länger als bei seiner Bewerbungsrede vor der Wiederwahl zum SPD-Chef.
Mit Blick auf das geplante Votum der 473 000 SPD-Mitglieder über einen Eintritt in die große Koalition appellierte Gabriel an die Verantwortung jedes einzelnen Mitglieds. „Dann geht es um die Zukunft der Sozialdemokratie in den nächsten 20, 30 Jahren.“ Gabriel zählte alle Bedingungen der SPD für einen Koalitionsvertrags auf - von 8,50 Euro Mindestlohn bis zur doppelten Staatsbürgerschaft. „Wenn das alles im Koalitionsvertrag steht, verdammt nochmal, dann dürfen wir doch keine Zweifel daran lassen, dass wir den unterschreiben und mehrheitsfähig in der SPD machen.“
Für die schlechten Ergebnisse bei der Wahl des Parteivorstands zeigte Gabriel Verständnis. Dies sei ein Zeichen des Unwohlseins angesichts der Wahlniederlage bei der Bundestagswahl und des noch offenen Ergebnisses der Koalitionsverhandlungen.
Der Koalitionsvertrag soll bis Ende November unterzeichnet werden. Anschließend sollen die SPD-Mitglieder darüber entscheiden. Schleswig-Holsteins SPD-Landeschef Ralf Stegner sagte der Deutschen Presse-Agentur: „Zu FDP-Bedingungen ist die SPD nicht zu haben.“ Die stellvertretende SPD-Vorsitzende Hannelore Kraft sagte am Freitagabend im WDR: „Ich war skeptisch und ich bin skeptisch. Es muss einen Politikwechsel geben, und am Ende wird man alles an den Inhalten messen.“
SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles kündigte in der „Rheinischen Post“ (Samstag) an, man werde bei den Verhandlungen noch eine Schippe drauf legen müssen. Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit sagte der „Bild“-Zeitung (Samstag): „An der SPD-Basis gibt es starke emotionale Widerstände gegen eine große Koalition. Alles hängt jetzt vom Verhandlungsergebnis ab.“
Merkel rief die SPD zur Zurückhaltung auf. Eine Koalition, bei der die einen für die Einnahmen und die anderen für die Ausgaben zuständig seien, könne nicht funktionieren, sagte Merkel am Freitagabend beim Deutschlandtag der Jungen Union in Erfurt. Alle Beteiligten müssten sich für alle Belange zuständig fühlen, also für wirtschaftlichen Aufschwung und sozialen Ausgleich. Thüringens Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht (CDU) warnte dort am Samstag vor zu großen Zugeständnissen. Es sei wichtig, „sozialdemokratische Regelungswut“ zurückzuweisen.
Der Junge-Union-Vorsitzende Philipp Mißfelder rief die SPD zu mehr Kompromissbereitschaft auf. Die stellvertretende Generalsekretärin der CSU, Dorothee Bär, sagte: „Wir müssen immer wieder darauf hinweisen, dass der Schwanz nicht mit dem Hund zu wackeln hat.“
Beim Mindestlohn pochten ostdeutsche SPD-Ministerpräsidenten auf eine einheitliche Höhe in Ost und West. So sagte Mecklenburg-Vorpommerns Regierungschef Erwin Sellering zu „Spiegel Online“: „Ich sehe keinen einzigen Grund dafür, warum der Mindestlohn im Osten niedriger ausfallen oder später kommen sollte als im Westen.“
Unionsfraktionschef Volker Kauder sagte der „Bild am Sonntag“ hingegen: „Ein flächendeckender, gesetzlicher Mindestlohn von 8,50 Euro, der ohne Übergangsfristen eingeführt wird, birgt vor allem im Osten die Gefahr neuer Arbeitslosigkeit.“ CDU-Vize Armin Laschet sagte dem „Tagesspiegel“ (Sonntag), die Einführung des Mindestlohnes von 8,50 Euro in Ostdeutschland helfe niemandem.