Gauck erinnert in Prag an Vertreibung
Prag (dpa) - In Prag betreibt Joachim Gauck Vergangenheitsbewältigung. Nazi-Verbrechen, Besatzung, die Vertreibung der Sudetendeutschen haben die Beziehungen zwischen Deutschen und Tschechen belastet.
Und doch gibt es eine gemeinsame Zukunft - in Europa.
Bundespräsident Joachim Gauck hat bei seinem Staatsbesuch in Tschechien an die deutsche Besatzung und die Nazi-Verbrechen erinnert, aber auch die Vertreibung der Sudetendeutschen angesprochen. In einer Rede an der Karls-Universität in Prag sagte er am Dienstag: „Es ist gar keine Frage, dass die Geschichte der tschechisch-deutschen Beziehungen auch eine Geschichte des Leids ist.“ Deshalb erscheine es manchmal wie ein Wunder, dass beide Länder den Mut zu Verständigung und Versöhnung gefunden hätten.
Am Nachmittag besuchte Gauck zusammen mit dem tschechischen Präsidenten Milos Zeman das frühere Konzentrationslager und Ghetto in Theresienstadt, in dem während der Nazi-Besatzung Zehntausende ums Leben kamen. Gauck betonte, er wolle mit dem Besuch zeigen, dass Deutsche sich an Schuld und Verbrechen der Nazizeit erinnerten. „Aber das sind heute andere Deutsche“, sagte er.
Theresienstadt war nach der Wannseekonferenz 1942 auch ein Durchgangslager für Juden aus Deutschland und anderen europäischen Ländern, die später in die Vernichtungslager im Osten transportiert wurden.
„Flucht, Vertreibung, Zwangsaussiedlung, ethnische Säuberung - wie immer Sie es nennen mögen“, sagte Gauck zum Schicksal der Sudetendeutschen. Nach den nationalsozialistischen Verbrechen und der Befreiung 1945 hätten die Deutschen in der Tschechoslowakei ihre Heimat verlassen müssen - „Schuldige und Unschuldige zugleich“.
Bei einem Mittagessen mit Ministerpräsident Bohuslav Sobotka würdigte Gauck die stärkere Hinwendung der tschechischen Regierung zu Europa. Die Übernahme der Grundrechtecharta und die Zustimmung zum Fiskalpakt seien wichtige Schritte. Wer Europa voranbringen wolle, müsse verloren gegangenes Vertrauen zurückgewinnen. Vor allem die Jugend in Europa brauche eine Zukunftsperspektive, sagte Gauck und rief zur Beteiligung an der Europawahl am 25. Mai auf.
An der Universität erinnerte der Bundespräsident an die vielen Tschechen, die ihren deutschen Mitbürgern 1945 Schutz geboten hätten. Auch habe Tschechien 2005 seine Anerkennung für sudetendeutsche Widerstandskämpfer und Verfolgte des Naziregimes zum Ausdruck gebracht.
Gauck, der in der ältesten Universität Mitteleuropas mit einer Gedenkmedaille ausgezeichnet wurde, würdigte den Widerstand der Tschechen gegen die deutsche Besatzung ebenso wie gegen das kommunistische Regime. Er erinnerte an die Selbstverbrennung des Studenten Jan Palach 1969 und an den Dissidenten und späteren Präsidenten Vaclav Havel, den er ein „großes Vorbild“ nannte. Er habe mitgeholfen, eine friedliche Zukunft von Tschechen und Deutschen in einem gemeinsamen Europa möglich zu machen.
Am Mittwoch besucht Gauck ein Werk des zum Volkswagen-Konzerns gehörenden Autobauers Skoda und kehrt nach einer Diskussion mit Schülern und Intellektuellen am Abend nach Berlin zurück.