Gauck und die Kritik im Netz
Politiker und Blogger reiben sich an älteren Aussagen des designierten Bundespräsidenten.
Berlin. Der eine ist weg, der andere noch nicht einmal gewählt. Und obwohl nun Joachim Gauck als parteiübergreifender Kandidat für das höchste Staatsamt antritt, heißt das längst nicht, es gäbe keine Meinungsverschiedenheiten mehr. Ob zum Thema Heirat oder zur Frage, wie sich Gaucks Freiheitsverständnis mit der digitalen Welt des Internets versteht, es mangelt nicht an Stoff für öffentliche Debatten.
Längst nicht so geschlossen, wie es zwischenzeitlich schien, ist die Unterstützung bei den Grünen für den ehemaligen DDR-Bürgerrechtler und Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen. Der Berliner Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele sagte der „Frankfurter Rundschau“, er sei sich nicht sicher, ob er Gauck wählen werde. Der 71-Jährige stößt sich an Äußerungen aus den vergangenen Jahren, die Internetnutzer in diesen Tagen kritisch aufgegriffen haben. So hatte Gauck dem früheren Berliner Finanzsenator Thilo Sarrazin 2010 bescheinigt, mit seinem Buch „Deutschland schafft sich ab“ „Mut bewiesen“ zu haben. Anliegen der „Occupy“-Bewegung, die sich gegen die Finanzmärkte richten, bezeichnete er als „albern“ und die als „Montagsdemos“ titulierten Proteste von Langzeitarbeitslosen, die sich 2004 gegen die Einführung von Hartz IV wandten, seien „töricht“ gewesen.
Solche Aussagen zeugten nicht von Empathie für sozial Schwache, sagte Ströbele. Dabei gibt es auch Blogger, die empfehlen, sich Gaucks Äußerungen im Zusammenhang anzusehen. Da stelle sich heraus, dass er mitnichten ein Sarrazin-Freund sei. „Mutig“ ist Sarrazin für ihn insofern, als er „sich mit dem Missbehagen von Intellektuellen und von Genossen seiner Partei“ (der SPD) auseinandersetze. Aber Gauck erklärt auch: „Nicht mutig ist er, wenn er genau wusste, einen Punkt zu benennen, bei dem er sehr viel Zustimmung bekommen wird.“ Richtig sei, dass er auf „ein Problem“ hinweise. Allerdings: „Das andere sind seine biologistischen Herleitungen.“ Die würde er „auch kritisieren“.
Bei den „törichten“ Montagsdemos bezog sich Gauck auf die Namensgebung — die Assoziation mit den Montagsdemos in der DDR sei „geschichtsvergessen“. Gleichwohl durchzieht Interviews mit Gauck wie ein roter Faden die Frage, „wie viel Fürsorge sich das Land noch leisten kann“. Die Agenda 2010 lobte er. Dass sich Vertreter des linken Lagers daran reiben, ist verständlich.
Im Herbst fiel das Wörtchen „albern“ in Bezug auf die „Occupy“-Bewegung. Albern nannte er aber nicht die Bewegung an sich, sondern die Forderung, das kapitalistische System abzuschaffen und Banken zu verstaatlichen.
Unterdessen ist eine Debatte entbrannt, ob ein Bundespräsident verheiratet sein muss. „Es dürfte wohl im Interesse des Herrn Gauck selbst sein, seine persönlichen Verhältnisse so schnell als möglich zu ordnen, damit insoweit keine Angriffsfläche geboten wird“, sagte CSU-Familienpolitiker Norbert Geis.