Politik Gaucks Europa-Vermächtnis und ein Signal gegen den Populismus

Der Bundespräsident sieht Europa zum Ende seiner Amtszeit am Scheideweg - und die Populisten auf dem Vormarsch. Alarmiert ist er vom Agieren des unberechenbaren neuen US-Präsidenten.

Bundespräsident Joachim Gauck im Theater aan het Vrijthof in Maastricht (Niederlande) nach der Verleihung der Ehrendoktorwürde.

Foto: Rainer Jensen

Maastricht. Es ist eine ordentliche Portion politische Freiheit, die sich Joachim Gauck da im ehrwürdigen „Theater aan het Vrijthof“ gönnt. Abschied mache frei, heißt es - dieses Motto scheint sich auch der Bundespräsident in den letzten Tagen seiner Amtszeit verordnet zu haben. Keine Spur von Wehmut auf dieser wohl vorletzten Dienstreise im höchsten Staatsamt. Der Mann wirkt angriffslustig. Und er nimmt mit dem neuen US-Präsidenten Donald Trump unausgesprochen einen der mächtigsten Männer der freien Welt ins Zentrum seiner Rede. Die ist in diesen Passagen vor allem eines: kritisch.

Schon am Vormittag zeigt sich Gauck inspiriert, als er sich im Museum Mauritshuis in Den Haag die weltberühmten Werke von Johannes Vermeer und Rembrandt aus dem „Goldenen Zeitalter“ anschaut. „Mensch, erkenne Dich selbst“, erklärt Kurator Quentin Buvelot dem Bundespräsidenten den Hintersinn von Rembrandts Werk „Die Anatomiestunde des Dr. Nicolaes Tulp“. Ob Gauck da schon an seine politische Lehrstunde denkt, die er ein paar Stunden später in Maastricht hält?

Vor dem in großen Teilen studentischen Publikum der erst 1976 gegründeten Universität Maastricht packt der 77-Jährige dann ordentlich politischen Zündstoff in seine Worte. Sehr international ist die Hochschule mit ihren 16 500 Studenten ausgerichtet. Das passt gut als Rahmen für Gaucks europapolitisches Vermächtnis, das er hier vor der niederländischen Königinmutter, Prinzessin Beatrix, und den anderen Gästen aus Wissenschaft, Kultur und Politik ausbreitet.

In Maastricht, an den Wurzeln der Europäischen Union, wie wir sie heute kennen, benennt Gauck auch selbstkritisch die Probleme der Gemeinschaft, nennt Gefahren und Lösungen für ein „Europa von übermorgen“. Gauck hat Sinn für Symbole - am Tag seines Besuchs jährt sich die Unterzeichnung des Vertrags von Maastricht zum 25. Mal. „Eine Chiffre für ein in Frieden und Freiheit geeintes Europa“ nennt Gauck das Abkommen. Für die aufklärerischen westlichen Werte stehe dieses Europa: Demokratie, Herrschaft des Rechts, Menschenrechte, Gewaltenteilung, Gleichberechtigung von Mann und Frau.

Diese Werte sieht Gauck bedroht. Demokratie und Frieden spürt er in Gefahr „angesichts neuer nationalistischer und autoritärer Verführungen in einigen Ländern“ und der „Verunsicherung bei unserem transatlantischen Partner unter seinem neuen Präsidenten“. Nicht nur der niederländische Rechtspopulist Geert Wilders lässt bei diesen Passagen grüßen oder die Kandidatin der rechtsextremem Front National (FN) in Frankreich, Marine Le Pen. Trump kommt quasi in einem Atemzug mit den extremen europäischen Rechtsauslegern vor.

Immer wieder hat der Bundespräsident in den vergangenen fünf Jahren Wladimir Putin angeprangert. Und nun Trump, auch wenn er den Namen nicht ein einziges Mal ausspricht. Jedem im Saal dürfte klar sein, wen Gauck meint, als er kritisiert: „Keine Macht steht über dem Recht. Und auch die Macht ist an Recht gebunden.“ Das sitzt. Immerhin hat der US-Präsident im Streit um sein Einreisedekret die Unabhängigkeit der Justiz in den USA in Frage gestellt und einzelne missliebige Richter persönlich kritisiert.

Dann kostet der Bundespräsident die Freiheit der letzten Amtstage aus - und macht etwas mehr aktive Politik, als er es sich in den zurückliegenden Jahren genehmigt hatte. Ohne diplomatische Umschweife verlangt er die politische Emanzipation Deutschlands und Europas von den USA. Es ist ein Gauck-Satz ohne Schnörkel: „Es ist an der Zeit, dass die europäischen Staaten und besonders auch Deutschland, die sich lange unter dem Schild der amerikanischen Führungsmacht eingerichtet hatten, selbstbewusster und selbstständiger werden.“

Damit auch jeder versteht, was er meint, fügt Gauck hinzu: „Wir haben besondere Verantwortung für die Stabilisierung der internationalen Ordnung.“ Und: „Zu Recht diskutieren wir, wie Europa seine Verteidigungsbereitschaft erhöhen kann. Denn wir dürfen die Werte, auf denen da europäische Projekt beruht, nicht preisgeben.“

Knapp zwei Wochen vor der Münchner Sicherheitskonferenz hat der scheidende Bundespräsident damit ein Motiv wieder aufgenommen, mit dem er schon vor drei Jahren für Furore gesorgt hatte: Im Januar 2014 hielt er jene Rede, die als seine wichtigste in Erinnerung bleiben dürfte. Schon damals forderte er, Deutschland müsse mehr Verantwortung übernehmen - notfalls auch militärisch.

Am Ende gibt Gauck der jungen Generation im Saal und überhaupt in der ganzen EU mit auf den Weg: „Engagieren Sie sich gerade jetzt für die Idee eines geeinten Europa.“ Schließlich gehe es „auch um die Zukunft Ihrer Kinder und Enkelkinder“. Das klingt dann wirklich wie ein Vermächtnis des scheidenden Bundespräsidenten.