„Gorch Fock“: Kadetten erheben neue Vorwürfe

Berlin (dpa) - Die Berichte über Missstände auf dem Marine-Schulschiff „Gorch Fock“ nehmen kein Ende. Neue Vorwürfe gegen die Stammbesatzung kamen nach Medienberichten bei Befragungen von Offiziersanwärtern ans Licht.

Die Mannschaft des Großseglers wies die Anschuldigungen zurück. Sie beklagte in einem offenen Brief an Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) fehlenden Rückhalt in der Bundeswehr-Führung. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) nahm Guttenberg in der Affäre aber in Schutz.

Bei Befragungen von Offiziersanwärtern in der Marineschule Flensburg-Mürwik hat ein Ermittlerteam nach Medienberichten weitere belastende Zeugenaussagen gegen die Stammmannschaft der „Gorch Fock“ gesammelt. Die Kadetten hätten von weiteren, bisher unbekannten Fällen mutmaßlicher Drangsalierungen und Nötigungen berichtet. Einige Namen von Mitgliedern der Stammmannschaft seien mehrmals genannt worden. Auf dem Dreimaster sind 2008 und 2010 zwei Offiziersanwärterinnen unter noch ungeklärten Umständen zu Tode gekommen.

Den Aussagen zufolge wurde laut „Bild-Zeitung“ eine Kadettin so lange gemobbt und schikaniert, bis sie weinend zusammengebrochen sei. „Blonde Mädchen haben hier nichts verloren“, habe ein Ausbilder zu einer Offiziersanwärterin gesagt und hinzugefügt: „Die haben nichts im Kopf“ und auch nicht genug Kraft um aufzuentern, also in die Takelage zu klettern.

In dem „Offenen Brief“ der Mannschaft heißt es: „Wir, die Stammbesatzung der „Gorch Fock“, fühlen uns sehr alleine gelassen.“ Gefehlt habe „der Rückhalt unserer übergeordneten Dienststellen, welche sich zu keiner Zeit vor uns stellten oder sich nach unserem Befinden erkundigt haben.“ Die Anschuldigungen von Offiziersanwärtern seien bisher nicht bestätigt. Der Vorwurf der Menschenschinderei sei Rufmord. Die Suspendierung von Kapitän Norbert Schatz kritisiert die Mannschaft als „Abservierung“.

Merkel wandte sich gegen Pauschalkritik an der Bundeswehr. Bei den aktuellen Vorgängen handele es sich um „Einzelfälle“, die öffentlich diskutiert und aus denen die nötigen Schlüsse gezogen würden, sagte die Kanzlerin dem „Hamburger Abendblatt“ (Samstag). Sie verteidigte Guttenberg: Dieser habe „vollkommen richtig“ gehandelt. Durch die Suspendierung des „Gorch Fock“-Kommandeurs sei „kein Urteil gesprochen“ worden. Die Abberufung diene auch dem Schutz des Betroffenen, solange die Vorgänge an Bord untersucht würden.

Guttenberg wies erneut Vorwürfe zurück, er habe Schatz „gefeuert“. Die Suspendierung solle eine sachgerechte Aufklärung der Vorgänge ermöglichen. Sollte sich der Kapitän nichts habe zu Schulden kommen lassen, könne er selbstverständlich seinen Dienst auf dem Schiff wieder aufnehmen, bekräftigte Guttenberg im SWR.

Der frühere Heeresinspekteur der Bundeswehr, Helmut Willmann, hielt dem Minister im „Spiegel“ vor, sein Krisenmanagement sei „von Aktionismus und Hektik“ und daraus resultierenden Fehlentscheidungen geprägt. Willmann war von 1996 bis 2001 Heeresinspekteur.

Der Leiter der seit Freitag auf der „Gorch Fock“ ermittelnden Kommission, Marineamtschef Horst-Dieter Kolletschke, berichtete, nach seinem ersten Eindruck verhalte sich die Stammbesatzung kooperativ. Kapitän Schatz erwägt juristische Schritte gegen seine Suspendierung, wie sein Rechtsanwalt dem „Focus“ sagte.

Ungeachtet der ungeklärten Todesfälle und Schinder-Vorwürfe hängt die Mehrheit der Bundesbürger an der „Gorch Fock“. 51 Prozent sprachen sich für den Weiterbetrieb des Segelschulschiffes aus, 37 Prozent für einen Verkauf, berichtet die „Bild am Sonntag“ aus einer repräsentativen Emnid-Umfrage. Die Absetzung des Kapitäns halten 60 Prozent für richtig, 31 Prozent für falsch.