Eine Frage des Prinzips Grüne künftig mit Realo-Doppelspitze?

Potsdam (dpa) - Die Grünen stellen ein zentrales Prinzip ihrer Doppelspitze in Frage. Die bisherige Regel, wonach die Partei von je einem Vertreter der „Fundis“ und der „Realos“ geführt wird, soll nach dem Willen vieler Landeschefs beim Bundesparteitag im Januar aufgehoben werden, wie eine dpa-Umfrage ergab.

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Das neue Spitzenduo könnte damit Annalena Baerbock (37) und Robert Habeck (48) heißen - zu Lasten der bisherigen Co-Chefin Simone Peter (52) vom linken Parteiflügel. Die Bundestagsabgeordnete Baerbock und der schleswig-holsteinische Umweltminister Habeck werden dem „Realo-Flügel“ zugerechnet. Der bisherige Co-Chef Cem Özdemir (51) will nicht mehr antreten, er wird für andere Posten gehandelt.

„Annalena Baerbock und Robert Habeck haben unsere Partei bei den Sondierungsgesprächen sehr gut vertreten. Wir sind überzeugt, dass sie ein starkes und vielversprechendes Führungsteam wären“, erklärten etwa die Hamburger Parteichefin Anna Gallina und ihr Vize Martin Bill.

„Es sollen die Besten antreten können, sie treten für die Gesamtpartei an und nicht für einen Flügel“, meinte auch das Spitzenduo in Bayern, Sigi Hagl und Eike Hallitzky. Weite Teile der Basis hätten für das starre Flügelsystem kein Verständnis.

Ähnlich äußerte sich auch Baerbock selbst. „Wir haben dann die größte Schlagkraft, wenn wir inhaltlich hart und offen debattieren und gemeinsame Positionen finden, anstatt auf reine Flügellogiken zu schielen“, sagte die Bundestagsabgeordnete dem „Spiegel“. Sie kandidiere nicht als Abgesandte eines Flügels.

Baerbock betonte aber zugleich, besonders im Parteivorstand müsse das Zusammenspiel der unterschiedlichen Strömungen gut funktionieren. „Zu versuchen, eine Strömung zu marginalisieren oder zu tun, als gäbe es sie nicht mehr, wäre politisches Harakiri.“

Peter, die seit 2013 Bundesvorsitzende ist, ist in der Partei nicht unumstritten. Sie hatte unter anderem mit Kritik am Kölner Polizeieinsatz in der Silvesternacht 2016/17 - nach den sexuellen Übergriffen im Jahr zuvor - Kritik ausgelöst.

Peter übt nun ihrerseits Kritik daran, dass Habeck Vorbedingungen für seine Kandidatur stellt. Der will sich nur für den Vorsitz bewerben, wenn er für eine einjährige Übergangszeit Minister bleiben kann, um den Stabwechsel in Kiel zu organisieren. Dafür müsste aber die Satzung geändert werden. Peter ist der Ansicht, ein Jahr sei zu lang. „Das wäre die Hälfte der gewählten Amtszeit als Parteichef“, sagte sie dem „Tagesspiegel am Sonntag“.

Die Abgrenzung zwischen dem realpolitischen und dem linken Lager ist nach Ansicht zahlreicher Landesvorsitzender ohnehin überholt. Der niedersächsische Parteichef Stefan Körner betonte, mit Doppelspitze sei gemeint, dass es einen Mann und eine Frau in Führungspositionen gebe. „Andere Kriterien für eine Doppelspitze gibt es nicht.“ „Entscheidend ist die Persönlichkeit, nicht zu welchem Parteiflügel sie gehört“, meinte auch der Grünen-Co-Chef in Sachsen-Anhalt, Christian Franke.

„Da meiner Wahrnehmung nach die „Flügelfreien“ die größte Strömung innerhalb der Grünen sind, fand ich die strikte Flügel-Arithmetik nie besonders ansprechend“, sagte die rheinland-pfälzische Grünen-Chefin Jutta Paulus. Die hessische Landesvorsitzende Angela Dorn sagte: „Wir sind in Hessen ein Landesverband, der diese Flügel überwunden hat.“

Und was macht Cem Özdemir? Der 51-Jährige sei einer der beliebtesten Politiker in Deutschland und habe maßgeblich zum positiven Profil der Partei in den letzten Monaten beigetragen, meint der niedersächsische Landeschef Körner. Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) macht kein Geheimnis daraus, dass er den Realo Özdemir gerne an der Spitze der Bundestagsfraktion sähe. Derzeit führen Katrin Göring-Eckardt vom realpolitischen und Anton Hofreiter vom linken Parteiflügel die Fraktion.