Grüne trimmen sich auf Regierungskurs
Mit Optimismus gehen die Grünen in den Bundestagswahlkampf. Ihre angeschlagene Parteichefin Roth bekommt neuen Rückhalt, sie fassen realitätstaugliche Beschlüsse, und Schwarz-Grün erteilen sie eine Absage.
Aber es könnte nur für eine Koalition mit der Union reichen.
Hannover (dpa) - Die Grünen wollen mit neuer Geschlossenheit und einem pragmatischen Mitte-Links-Kurs zurück an die Macht. Die 800 Delegierten des Bundesparteitags in Hannover gaben Parteichefin Claudia Roth am Wochenende einen demonstrativen Vertrauensbeweis. Nach der für sie demütigenden Schlappe bei der Urwahl über das Wahlkampf-Spitzenduo wurde Roth mit starken 88,5 Prozent im Amt bestätigt. „Das war für mich überwältigend“, betonte Roth am Sonntag zum Abschluss. Einer Koalition mit der Union erteilten die Grünen eine Absage. Ziel sei eindeutig Rot-Grün, betonte die Parteispitze.
Nach teils leidenschaftlicher Debatte einigten sich die Grünen auf ein sozialpolitisches Programm, das viele Schnittmengen zur SPD aufweist und in der Regierung auch umsetzbar sein könnte. Anders als früher bescherte die Basis dem Vorstand keine Abstimmungsschlappen. Forderungen etwa nach einer Abkehr von der Rente mit 67 fielen durch. Der Hartz-IV-Satz soll von 374 Euro auf 420 Euro pro Monat steigen. Mit einer Vermögensabgabe sollen von Wohlhabenden über zehn Jahre bis zu 100 Milliarden Euro eingenommen werden, der Spitzensteuersatz soll von 42 auf 49 Prozent steigen. Die Grünen wollen einen finanziellen Spielraum von zwölf Milliarden Euro pro Jahr schaffen.
Zum Abschluss bekannten sie sich am Sonntag in einem einstimmigen Beschluss zu einer Stärkung des Europäischen Parlaments und warnten davor, krisengeschüttelte Euro-Länder durch zu harte Sparvorgaben zu erdrosseln. Bei einer neuen Atommüll-Endlagersuche soll der umstrittene Standort Gorleben zwar im Rennen bleiben, aber mit Hilfe strenger Vergleichskriterien möglichst rasch ausgeschlossen werden. Gelingt eine Einigung mit Union und FDP, soll ein Sonderparteitag über das Suchgesetz entscheiden. Greenpeace zeigte sich „irritiert“ und forderte ein sofortiges Gorleben-Aus.
Im Mittelpunkt des Parteitags stand besonders am Samstag Roth, nachdem sie bei der Urwahl mit 26 Prozent nur auf dem vierten Platz gelandet war. Nur bei ihrer ersten Wahl zur Parteichefin im Jahr 2001 bekam Roth mit 91,5 Prozent ein besseres Resultat als nun in Hannover. Bei ihrer letzten Wahl hatte sie 2010 in Freiburg 79,3 Prozent erhalten. Nach der Wahl umarmten die Spitzenkandidaten Katrin Göring-Eckardt und Jürgen Trittin die 57-Jährige. Roths Co-Vorsitzender Cem Özdemir schaffte mit 83,3 Prozent (2010: 88,5) ebenfalls ein gutes Ergebnis.
Roth sagte, sie habe zuletzt Stunden mit Schatten und Licht erlebt. „Aber die Trauerzeit ist vorbei.“ Sie bat um eine ehrliche Antwort, ob das Vertrauen in sie noch da sei - so wie sie eben sei. „Das Nerven, das gewöhn' ich mir auch nicht mehr ab.“ Die einzige größere Überraschung gab es bei den Wahlen zum Parteirat. Der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer, bisher ein Hoffnungsträger, wurde scheinbar für einen parteiintern als ruppig kritisierten Umgang abgestraft und flog aus dem Koordinierungsgremium der Grünen.
Wortreich versuchten sämtliche Spitzenpolitiker erneut, allen schwarz-grünen Gedankenspielen ein Ende zu bereiten. „Grün oder Merkel, darum geht's“, sagte die Spitzenkandidatin Göring-Eckardt. Ziel sei es, CDU/CSU Wähler abzujagen, nicht mit ihnen zu koalieren. Parteichef Özdemir forderte aber, auch die SPD mit ihrem Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück müsse noch zulegen.
Trittin sagte der Deutschen Presse-Agentur (dpa) mit Blick auf die Union: „Gerechtigkeit geht nicht mit den Schwarzen, offene Gesellschaft geht nicht mit den Schwarzen, und ob Energiewende mit denen geht, da hab' ich in letzter Zeit sehr viele Zweifel bekommen.“ Baden-Württembergs grüner Ministerpräsident Winfried Kretschmann warnte Trittin im „Spiegel“ aber vor „Ausschließeritis“. Mehr als die Hälfte der Bürger kann sich laut einer Emnid-Umfrage für „Focus“ Schwarz-Grün vorstellen. Derzeit würden SPD und Grüne eine Mehrheit deutlich verfehlen.
Kanzlerin Angela Merkel (CDU) wandte sich beim Landesparteitag der sächsischen CDU in Leipzig gegen schwarz-grüne Planspiele. „Ich glaube, dass diese Koalition das beste für unser Land ist“, sagte sie mit Blick auf die FDP. SPD-Chef Sigmar Gabriel versprach den Grünen einen Umgang „auf Augenhöhe“. SPD-Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann betonte, die Grünen hätten „die Grundlagen für eine Renaissance von Rot-Grün gelegt“.
Der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, Michael Grosse-Brömer, meinte am Sonntag über die Grünen: „Die Partei driftet wieder nach links, also weg von der Mitte, um die sie werben will.“ FDP-Generalsekretär Patrick Döring sagte: „Die Grünen haben in Hannover ihr eigentliches Wahlkampfmotto "Grün statt Sparen" vorgestellt. Das war ehrlich, und daran kann man die Grünen nun bewerten.“