Hundert Jahre — Lust und Last des Alters
Christiane Wegener lebt trotz kleinerer Gebrechen selbstständig in ihrer Wohnung.
Heidelberg. Wenn Christiane Wegener von all den vielen Büchern erzählt, die sie im Laufe ihres langen Lebens gelesen hat, wird ihr Blick ein wenig traurig.
Stolze 100 Jahre ist sie nun alt, aber ihre Augen machen nicht mehr so richtig mit. An Resignation denkt die betagte Seniorin aber nicht. Sie lernt nun Gedichte auswendig, um sich geistig fit zu halten.
„Ich sehe zu, dass es mir nicht langweilig wird“, sagt sie. Damit liegt Christiane Wegener in einem Trend, den Forscher der Universität Heidelberg in einer neuen Studie belegt haben: Fast drei Viertel der Hundertjährigen in Deutschland möchten unbedingt weiterleben.
Wie viele andere in ihrer Altersklasse fühlt sich auch Christiane Wegener geistig völlig fit. Ein Lesegerät hilft ihr, weiter in Büchern schmökern zu können. Doch das Vergnügen bleibt beschwerlich, ein hohes Alter hinterlässt Spuren.
Zur runden 100 bekam die Seniorin viele Glückwunsche, auch der Bundespräsident schickte einen Brief. „Die werden sich wundern, wenn die alle mal selbst so alt sind. So gut ist 100 auch nicht“, sagt sie. Denn auch das Hören fällt ihr inzwischen schwer. Wer mit ihr reden möchte, muss sich dicht neben sie setzen und laut sprechen.
Aber mit 100 gibt es auch viel Hilfe — zum Beispiel von der Sozialstation, die jeden Morgen für das Frühstück sorgt. Sonst springt die Familie ein. Sohn Friedrich-Wilhelm Wegener ist allerdings selbst schon 75. „Ich gebe immer damit an, dass ich so eine alte Mutter habe“, sagt er. In seiner Familie seien fast alle 100 Jahre alt geworden. „Ich werde auf jeden Fall auch so alt.“
Er hofft dann allerdings fitter zu sein als seine Mutter. Sie kann mit ihrem Rollator nicht mehr allein aus dem Haus gehen, weil es unten an der Treppe kein Geländer zum Festhalten gibt. „Sie hat wirklich nicht mehr viel davon, alles fällt schwer“, sagt Friedrich-Wilhelm Wegener. Seine Mutter in ein Pflegeheim zu geben, kommt für ihn aber nicht infrage. „Ich möchte später selbst nicht ins Heim und habe ihr auch nie zugeredet.“
Mutter und Sohn Wegener sind inzwischen ein eingespieltes Team. Ihr Mann sei im Zweiten Weltkrieg getötet worden und ein zweites Mal heiraten habe sie nie gewollt, erzählt die Hundertjährige. „Ich habe meinen Sohn früher überall mit hingenommen.“
Schließlich zog die Seniorin auch aus ihrer Heimat Potsdam in die Nähe ihres Sohnes nach Heddesheim bei Mannheim. Er besucht sie nun regelmäßig in ihrer Zweizimmer-Wohnung und geht für sie einkaufen. „Das ist ganz wichtig, wenn die Familie hinter einem steht“, sagt die Hundertjährige.