Karlsruhe: Sicherungsverwahrung verfassungswidrig
Berlin (dpa) - Die Sicherungsverwahrung für besonders gefährliche Straftäter muss völlig neu geregelt werden. Mit einem bahnbrechenden Urteil erklärte das Bundesverfassungsgericht am Mittwoch sämtliche Regelungen über die gerade erst reformierte Sicherungsverwahrung für verfassungswidrig.
Damit kommen aber die Verbrecher keineswegs sofort frei. Für die Neuregelung setzten die Richter dem Gesetzgeber eine Frist von zwei Jahren: Bis dahin muss ein neues Gesamtkonzept stehen. Solange dürfen gefährliche Gewalt- und Sexualtäter nach Verbüßung ihrer Strafe unter strengen Voraussetzungen eingesperrt bleiben.
Anderenfalls hätten mehrere hundert als gefährlich geltende Täter sofort freigelassen werden müssen. „Eine solche Situation würde Gerichte, Verwaltung und Polizei vor kaum lösbare Probleme stellen“, sagte Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle bei der Urteilsverkündung. Stattdessen ordnete das Gericht eine Übergangsregelung an.
Die weitere Unterbringung sei zulässig, wenn „die Gefahr künftiger schwerer Gewalt- oder Sexualstraftaten besteht“. Dies muss im Einzelfall überprüft werden. Derzeit sind bundesweit rund 500 Straftäter in Sicherungsverwahrung, weil sie auch nach Verbüßung der regulären Strafe als gefährlich gelten.
Grüne und Linke bezeichneten das Urteil als „Ohrfeige“ für die Politik der Bundesregierung. Linken-Justizexperte Wolfgang Neskovic sagte, bislang habe die Politik nur „Flickschusterei“ zustande gebracht. „Wir brauchen eine Reform aus einem Guss“, sagte er und forderte, eine Expertenkommission einzusetzen. Der Grünen-Rechtsexperte Jerzy Montag erklärte, die schwarz-gelbe Rechtspolitik stehe vor einem „Scherbenhaufen“. Der Bundestag habe nun eine schwierige Aufgabe. Bis zum Sommer 2013 muss nach den Vorgaben des Gerichts ein komplett neues Konzept geschaffen werden.
Dagegen sehen Union und FDP den Weg, den sie mit der Neuregelung Anfang dieses Jahres eingeleitet haben, bestätigt. Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) sagte, die grundlegende Weichenstellung der jüngsten Reform habe das Gericht nicht infrage gestellt: „Die Voraussetzungen, unter denen ein Straftäter in Sicherungsverwahrung genommen werden kann, sind nicht beanstandet worden.“ Unionsfraktionsvize Günter Krings erinnerte daran, dass die nachträgliche Sicherungsverwahrung, die das Gericht verwarf, mit der Reform grundsätzlich schon abgeschafft sei.
Die Karlsruher Richter betonten, die Sicherungsverwahrung müsse sich deutlicher von der Strafhaft unterscheiden. Nötig sei eine intensive therapeutische Betreuung, die „dem Untergebrachten eine realistische Perspektive auf Wiedererlangung der Freiheit eröffnet“.
Zwei Gruppen von Sicherungsverwahrten dürfen auch übergangsweise nur unter besonders strengen Voraussetzungen eingesperrt bleiben: Zum einen Täter, deren Verwahrung rückwirkend über die früher geltende Zehn-Jahres-Frist hinaus verlängert wurde. In solchen Fällen hatte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) die Sicherungsverwahrung für menschenrechtswidrig erklärt. Zum anderen Straftäter, bei denen die Verwahrung erst nachträglich angeordnet wurde, obwohl im Urteil davon noch nichts stand.
Diese Tätergruppen dürfen nur weiter in Verwahrung gehalten werden, „wenn eine hochgradige Gefahr schwerster Gewalt- oder Sexualstraftaten“ aus konkreten Umständen zu erkennen ist und außerdem eine psychische Störung besteht, sagte Voßkuhle. Die Gerichte müssen in diesen Fällen die Voraussetzungen für eine weitere Verwahrung „unverzüglich“ prüfen. Andernfalls müssten die Betroffenen bis Ende dieses Jahres freigelassen werden, sagte Voßkuhle.
Bereits seit Jahren äußerten Rechtsexperten grundsätzlich Kritik daran, dass sich die Sicherungserwahrung zu wenig von einer normalen Haft unterscheide. Bei der Reform vom Januar wurde die Maßnahme auf schwere Delikte beschränkt. Für Täter, die nach einem wegweisenden Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte vom 17. Dezember 2009 eigentlich freizulassen sind, wurde eine neue Form der „Therapieunterbringung“ geschaffen. Diese Unterbringung ist aber nur möglich, wenn sie „psychisch gestört“ sind. Diese Regelungen wurden vom Bundesverfassungsgericht nicht aufgehoben.
Der CSU-Innenexperte Hans-Peter Uhl sieht auf die Bundesländer viel Arbeit zukommen. Länder sollten sich zusammentun, um die kostspieligen Einrichtungen, die das Gericht jetzt fordert, finanzieren zu können. „Mit Psychologen und Therapeuten und speziellen Unterbringungsformen, die familiäre und soziale Außenkontakte ermöglichen, wird das eine andere Art der Unterbringung sein als eine Strafhaft“, sagte er dem Sender N24. Die könne es nicht 16 Mal in Deutschland geben.