Sicherungsverwahrung: „Einfach wegsperren“ ist verboten

Was das Urteil des Verfassungsgerichts für Betroffene, Justiz und Politik bedeutet.

Karlsruhe. Das Bundesverfassungsgericht hat die Regelungen zur Sicherungsverwahrung besonders gefährlicher Straftäter für verfassungswidrig erklärt.

Nicht automatisch. Das Gericht ordnete eine Übergangsregelung an. Eine sofortige Freilassung „würde Gerichte, Verwaltung und Polizei vor kaum lösbare Probleme stellen“, sagte Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle bei der Urteilsverkündung. „Hochgefährliche Straftäter dürfen unter engen Voraussetzungen in Sicherungsverwahrung bleiben.“ Allerdings muss das jeweils überprüft werden.

Es gibt Schätzungen, wonach sich etwa die Hälfte der derzeit rund 500 Sicherungsverwahrten Hoffnung auf Freilassung machen kann.

Grundsätzlich können sich alle Sicherungsverwahrten auf die Entscheidung berufen. Bei zwei Gruppen gibt es aber eine besonders strenge Prüfung: Zum einen die sogenannten „Altfälle“.

Bei ihrer Verurteilung galt für die Sicherungsverwahrung noch eine Höchstfrist von zehn Jahren, die rückwirkend aufgehoben wurde. In solchen Fällen hatte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Sicherungsverwahrung für menschenrechtswidrig erklärt. In diesen Fällen ist eine besonders strenge Prüfung notwendig.

Hiervon sind etwa 80 Menschen betroffen. Zum anderen gibt es die Fälle, in denen die Sicherungsverwahrung erst nachträglich angeordnet wurde, obwohl im Urteil davon noch keine Rede war. Das betrifft mindestens 20 Straftäter.

Bei diesen beiden Fallgruppen ist eine weitere Unterbringung nur erlaubt, wenn eine hochgradige Gefahr schwerster Gewalt- oder Sexualstraftaten zu erkennen ist und außerdem eine psychische Störung besteht. Das müssen die Gerichte spätestens bis Ende dieses Jahres prüfen — ansonsten müssen die Betroffenen freigelassen werden.

Bei den anderen Verwahrten muss im Rahmen der regulären Überprüfung untersucht werden, ob wirklich die Gefahr künftiger schwerer Gewalt- oder Sexualstraftaten besteht. Da ist der Maßstab aber nicht so streng.

Hier macht das Gericht genaue Vorgaben. Die Verwahrung ist „den allgemeinen Lebensverhältnissen anzupassen“, soweit dies aus Sicherheitsgründen möglich ist. Die Verwahrten müssen in besonderen Gebäuden und Abteilungen untergebracht werden, die den therapeutischen Erfordernissen entsprechen, familiäre und soziale Außenkontakte ermöglichen und über genügend Personal verfügen.

Vor allem aber muss es umfangreiche Therapiemöglichkeiten geben, um die Gefährlichkeit zu vermindern. Den Untergebrachten soll eine „realistische Perspektive auf Wiedererlangung der Freiheit“ eröffnet werden.

Die Politik muss per Gesetz in den kommenden zwei Jahren vor allem sicherstellen, dass die Betroffenen mehr Therapieangebote erhalten.

All das ist teuer. Nach der Karlsruher Entscheidung dürfte es zu dieser kostspieligen Unterbringung jedoch nur eine billige, dann aber riskante Alternative geben: die Freilassung.