Interview mit SPD-Generalsekretärin Katarina Barley: „Merkel hat keine inhaltliche Agenda“

Im Interview spricht SPD-Generalsekretärin Katarina Barley über Martin Schulz, die große Koalition und Sigmar Gabriels Auftritt in Israel.

 Katarina Barley, SPD Generalsekretärin, im WZ-Interview

Katarina Barley, SPD Generalsekretärin, im WZ-Interview

Foto: Zanin, Melanie (MZ)

Düsseldorf. Seit Katarina Barley im Dezember 2015 vom Bundesparteitag mit 93 Prozent zur neuen SPD-Generalsekretärin gewählt worden ist, hat sie mit ihrer Partei schon heftige Berg- und Talfahrten durchlebt. Aktuell muss sie das Ende des Schulz-Effekts erklären.

Frau Barley, der Kanzlerkandidat der SPD besucht derzeit Fischräuchereien und guckt Pumpenfabriken an. Eine tolle Bühne ist das nicht.

Katarina Barley: Aber das ganz normale Leben in Deutschland. Martin Schulz geht vor Ort und redet mit den Menschen. Er will wissen, wo den Leuten der Schuh drückt. Das ist wichtig, um die richtigen Lösungen für die ganz alltäglichen Probleme zu finden, seien es die von Alleinerziehenden, Rentnerinnen und Rentnern, Familien oder eben mittelständischen Unternehmen. Wer nur die großen Bühnen bedient, bekommt davon nicht allzu viel mit.

Fehlt ihm die Berliner Bühne?

Barley: Nein, im Gegenteil. Die Menschen erwarten, dass er sich um ihre Sorgen und Probleme kümmert und wollen deswegen direkt mit ihm reden. Seine ehrliche Art ist der Grund, warum er überall so gut ankommt. Der beste Beweis dafür sind die weit über 16 000 neuen Mitglieder, die seit der Nominierung von Martin Schulz in die SPD eingetreten sind.

Dass sie an der Basis gut ankommt, sagt Hannelore Kraft auch. Aber NRW steht nicht besonders gut da.

Barley: Die CDU in NRW redet das Land schlecht. Ich sehe bei denen keinerlei Ideen, wie sie hier etwas positiv gestalten möchten. Hannelore Kraft hat eine sehr gute Bilanz vorzuweisen. Die Arbeitslosigkeit in NRW ist auf niedrigstem Stand seit 1993. Es gibt so viele Menschen in Arbeit wie nie zuvor. Gleichzeitig hat die SPD seit 2010 über 200 Milliarden Euro in Kinder, Bildung und Familien investiert. Bei der Polizei haben wir den Stellenabbau der CDU-Vorgängerregierung gestoppt und das Personal massiv aufgestockt. Das alles kann sich sehen lassen. Der SPD kommt es eben darauf an, dass möglichst alle Menschen von unserer wirtschaftlichen Stärke profitieren. Das gilt für Land wie Bund. Und da haben wir zum Beispiel die Alleinerziehenden mit Verbesserungen bei den Freibeträgen und dem Unterhaltsvorschuss massiv unterstützt oder die abschlagsfreie Rente nach 45 Beitragsjahren durchgesetzt. Aber es bleibt noch viel zu tun.

Mit welcher Strategie soll eine neuerliche Talfahrt der SPD bis zur Bundestagswahl verhindert werden?

Barley: Schon vor Martin Schulz wussten wir, dass unser Wählerpotenzial genauso groß ist wie das der CDU und die Zufriedenheit mit den SPD-Reformen in der Bundesregierung gewaltig. Die aktuellen Umfragen zeigen, dass wir wieder auf Augenhöhe mit der Union sind.

Es gibt die Theorie, dass der Bundesparteitag zum Wahlprogramm vor allem deswegen nach der NRW-Wahl stattfindet, um die Wähler hier nicht zu sehr mit Rot-Rot-Grün zu verschrecken.

Barley: Keine Partei wird mit einer Koalitionsaussage in die Bundestagswahl gehen, auch die CDU nicht. Wir kämpfen dafür, dass die SPD in NRW und im Bund stärkste Kraft wird. Wer dann mit uns koalieren möchte, ist herzlich eingeladen, auf uns zuzukommen.

Sind die Gemeinsamkeiten der großen Koalition aufgebraucht?

Barley: Die Zusammenarbeit wird zunehmend anstrengend. Das hat auch mit den Umfragewerten zu tun. CDU und CSU sind so lange freundlich, wie sie das Gefühl haben, man wird ihnen nicht gefährlich. Aber sobald man ihnen auf Augenhöhe begegnet, werden sie zickig. Mich ärgert, dass sich CDU und CSU nicht an den Koalitionsvertrag halten. Das fängt bei der Solidarrente an. Wer lange berufstätig war, muss mehr im Alter haben als derjenige, der gar nicht eingezahlt hat. Das zweite große Ärgernis ist das noch nicht umgesetzte Rückkehrrecht von Teilzeit zu Vollzeit, von dem vor allem Frauen massiv profitieren würden.

Sie hatten doch vier Jahre Zeit. Und das Teilzeitgesetz ist erst in den letzten Monaten in den Vordergrund gerückt.

Barley: Andrea Nahles hat ein Megagesetz nach dem anderen auf den Weg gebracht und nie locker gelassen. Beim Teilzeitgesetz geht es der CDU jetzt nur darum, uns keinen Erfolg mehr zu gönnen. Dass das auf Kosten der Frauen geht, ist der CDU-Vorsitzenden Merkel mal wieder völlig egal.

Aber es zahlt sich für die SPD nicht aus.

Barley: Die Umfragen sprechen da eine andere Sprache. Und das, obwohl die CDU-Vorsitzende versucht, den Eindruck zu erwecken, sie sei am Ende für alles verantwortlich gewesen. Dabei hat Frau Merkel keine inhaltliche Agenda und keine Antwort auf wichtige Fragen, wie in der Steuerpolitik.

Welche haben Sie?

Barley: Wir werden zu unserem Parteitag Ende Juni ein seriöses Steuerkonzept vorlegen und wollen dabei die kleinen und mittleren Einkommen entlasten. Aber die unteren Einkommen haben von Steuersenkungen wenig bis gar nichts. Deswegen muss bei den Abgaben und sonstigen finanziellen Belastungen etwas passieren.

Wenn das alles so schwierig ist in Berlin, wie sehr würde es Sie schmerzen, wenn es nach der Wahl in NRW eine große Koalition gäbe?

Barley: Wir mischen uns in Koalitionsfragen auf Landesebene nicht ein.

Haben Sie denn im TV-Duell von Kraft und Laschet am Dienstagabend zwei mögliche Koalitionäre nebeneinander gesehen?

Barley: Ich habe eine sehr überzeugende Hannelore Kraft gesehen, die klar gemacht hat, dass sie in diesem Land noch viel vor hat. Ihr Herausforderer wackelte bei den entscheidenden Themen nur rum. Bei der CDU in NRW weiß man einfach nicht, woran man ist.

Bundespolitik fand in dem Duell kaum statt. Wird die Rolle des NRW-Ergebnisses für die Bundestagswahl womöglich überbewertet?

Barley: NRW ist das größte und wichtigste Bundesland in Deutschland. Deswegen hat das Ergebnis der Landtagswahl natürlich auch eine Bedeutung für die Bundestagswahl im September.

Auf wen zielte eigentlich Sigmar Gabriels Elefant-im-Porzellanladen-Auftritt in Israel?

Barley: Das sehe ich anders. Der Nahostkonflikt ist der komplizierteste auf der Welt. Wichtig ist, dass es überhaupt noch die Offenheit gibt, nach einer friedlichen Lösung zu suchen. Sigmar Gabriel findet bei seinen Auslandsbesuchen eine gute Balance zwischen klaren Worten und einer sehr verbindlichen diplomatischen Haltung. Auch in Israel hat er mit dem Besuch von Yad Vashem ein deutliches Zeichen gesetzt. Es ist aber ein mehr als legitimes Anliegen, auch andere Meinungen in diesem Konflikt anzuhören.

Sie haben Sigmar Gabriel als Generalsekretärin überlebt. Stand für Sie zur Debatte, auf das Amt beim Wechsel zu Martin Schulz wieder zu verzichten?

Barley: Ich bin für zwei Jahre gewählt, aber natürlich ist das Amt eng mit dem Parteivorsitzenden verbunden. Martin Schulz und mich verbindet unser rheinländisches Temperament. Wir verstehen uns einfach sehr gut. Daher stand das nie zur Debatte.