Koalition blickt nach Röttgen-Rauswurf nach vorn
Berlin/Düsseldorf (dpa) - Die schwarz-gelbe Koalition richtet trotz schwelender Unruhe wegen des Rauswurfs von Umweltminister Norbert Röttgen den Blick nach vorn. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) erhielt nach interner Kritik an der Entlassung am Wochenende klare Rückendeckung aus der Union.
Das von Röttgen verantwortete Wahlfiasko in Nordrhein-Westfalen ließ aber die interne Debatte um ein konservativeres Profil der CDU wieder aufflammen. Union und FDP wollen bei einem Treffen der Parteichefs in der neuen Woche Handlungsfähigkeit demonstrieren. Die SPD plädiert für eine Neuwahl.
Röttgen selbst will sich nicht aus der Bundespolitik zurückziehen. Im Bundestag will er bleiben und sich auch bei der Wahl 2013 erneut um ein Mandat bewerben, wie sein Büro bestätigt hatte. Laut „Bild am Sonntag“ plant Röttgen auch, zumindest bis zum Parteitag im Dezember stellvertretender CDU-Chef zu bleiben. Nach Informationen aus seinem Umfeld wolle er zudem die bisherige Darstellung der Umstände seiner Entlassung öffentlich korrigieren, schreibt die Zeitung. Merkel habe ihm vor der NRW-Wahl versichert, selbst bei einer Niederlage sei er als Umweltminister für das Großprojekt Energiewende unverzichtbar.
Der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer sieht die Koalition nach dem personellen Wechsel im Umweltressort wieder „sprechfähig“. Zudem verteidigte er Merkels Entlassungsentscheidung: „Die Kanzlerin und CDU-Vorsitzende muss auf die Gesamtverantwortung für das Land und die Partei achten, nicht auf den Eigennutz einzelner Politiker“, sagte er der „Leipziger Volkszeitung“ (Montag). Als neuer Umweltminister soll an diesem Dienstag der bisherige Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Peter Altmaier (CDU), ernannt werden.
Auch von Kabinettsmitgliedern bekam Merkel Unterstützung. Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) sagte im „Spiegel“, wenn die Kanzlerin „kein Vertrauen mehr hat, dass ihr zuständiger Minister ein vitales Projekt wie die Energiewende noch managen kann, dann muss sie so handeln“. Finanzminister Wolfgang Schäuble sagte der „Bild am Sonntag“, der Minister müsse die ganze Autorität in die Waagschale werfen können. Mit Blick auf Röttgen, der in NRW nur 26,3 Prozent erreicht hatte, fügte er hinzu: „Nach so einer Wahlniederlage und der Aufgabe des Vorsitzes des größten Landesverbandes der CDU ist das sicherlich erst einmal sehr viel schwieriger, wenn nicht unmöglich.“
SPD-Chef Sigmar Gabriel sagte dagegen der „Welt am Sonntag“: „Es ist bezeichnend, dass die Kanzlerin durch die Demütigung eines alten Weggefährten Stärke zu zeigen versucht.“ Angesichts des Zustands der Koalition forderte er: „Es wäre für Deutschland gut, wenn diese Selbstblockade der Bundesregierung endlich durch Neuwahlen beendet würde.“ Dazu werde es aber wohl nicht kommen.
Die Koalition will mit dem geplanten Dreiertreffen der Parteichefs wieder Tritt fassen. Entwicklungsminister Dirk Niebel (FDP) sagte der Zeitung „Die Welt“ (Montag): „Wir müssen schneller zu Entscheidungen kommen und diese dann geräuschlos umsetzen.“ Der CDU-Bundesvize und hessische Ministerpräsident Volker Bouffier sagte dem „Spiegel“: „Unser Publikum ist vom Streit über Themen wie das Betreuungsgeld wenig begeistert.“
Der Parlamentarische Geschäftsführer der CSU-Landesgruppe, Stefan Müller, sagte der Deutschen Presse-Agentur: „Die Koalition befindet sich am Scheideweg.“ In den nächsten Monaten werde sich entscheiden, ob Union und FDP ihren Gestaltungsanspruch bekräftigen könnten „oder ob es bei einer vierjährigen schwarz-gelben Episode bleibt“. Verabredetes müsse auch umgesetzt werden, zudem brauche es einen Fahrplan bis zur Wahl.
In der CDU wurde derweil Kritik am inhaltlichen Kurs der Partei laut. „Bei allen Fehlern von Norbert Röttgen darf die Niederlage in Nordrhein-Westfalen nicht allein auf landespolitische Gegebenheiten zurückgeführt werden“, sagte der hessische CDU-Fraktionschef und Kopf des konservativen CDU-Flügels, Christean Wagner, dem Magazin „Focus“. Nötig sei eine Profilschärfung: „Wir müssen uns auf unser C besinnen und klare wirtschaftsliberale Akzente setzen.“
Mit Blick auf die Wahl 2013 sagte Seehofer dem Magazin „Focus“: „Wenn wir nächstes Jahr Erfolg haben wollen, dürfen sich so Sachen wie NRW nicht wiederholen.“ Wenn Diskussionen wie beim Betreuungsgeld abgestellt würden, sei er „absolut sicher, dass diese Bundesregierung vom Wähler eine Vertragsverlängerung erhalten kann.“ Von der Leyen erwartet einen auf die Kanzlerin zugeschnittenen Wahlkampf unter der Frage: „Trauen die Menschen Angela Merkel und ihrer Regierung zu, sie weiter gut durch die Euro-Krise zu führen?“ Trotz Wiedererstarkens der FDP rät sie der CDU von einer Koalitionsaussage vor der Wahl ab.