Die Katholiken leiden an ihrer Kirche

Während der Vatikan über die Pius-Brüder diskutiert, kämpft die Basis für Reformen.

Mannheim. Mit einem Aufbruch hat beim Katholikentag niemand gerechnet. Von den 80 000 Besuchern wollten die einen die Gemeinschaft genießen, die anderen diskutieren und ihrem Unmut Luft machen.

Dass der Vatikan zeitgleich zur Rückkehr der erzkonservativen Piusbrüder tagte, machte deutlich, dass aus Rom keine Reformen zu erwarten sind. Es blieb bei rhetorischen Aufbruchs-Floskeln, wie es Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) auf den Punkt brachte.

Die Bischöfe, allen voran ihr Vorsitzender Robert Zollitsch, sprachen viel von mehr Verantwortung für die sogenannten Laien. Die Realität in den Gemeinden sieht jedoch anders aus. Allzu selbstständige Gemeindereferenten werden zurückgepfiffen, Wortgottesdienste an Sonntagen infrage gestellt. Für Lammert arbeitet Rom an einer Zentralisierung. „Das ist eine faktische Entmündigung der Laien.“

Das enge dogmatische Korsett passt nicht zur Lebenswirklichkeit der Gemeinden — und wird deshalb fast überall aufgeschnürt. Wiederverheiratete nehmen an der Eucharistie teil, Gemeinde-Referenten predigen, Homosexuelle erhalten den Segen. Doch die Betroffenen stehen immer in Gefahr, abgemahnt zu werden.

Stillstand zeigt sich auch in der Ökumene, die am Katholikentag ebenfalls mit schönen Worten besungen wurde. Doch die Partner werden zusehends ungehalten, weil die oft gute Zusammenarbeit in den Gemeinden vom Vatikan untergraben wird.

So kann der Vizepräses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland, Günther Beckstein, nicht einsehen, „warum die Versöhnung mit den Piusbrüdern eine größere Bedeutung hat als die Ökumene mit den Protestanten“.

Auch der gesellschaftspolitische Einfluss der Kirche leidet. Der Vorsitzende des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, Alois Glück, wollte beim Katholikentag zum gesellschaftlichen Aufbruch aufrufen. „Doch alle fragen immer nur nach innerkirchlichen Problemen“, sagte er.

Den Sozialethiker Friedhelm Hengsbach wundert das nicht. Mit ihrem Demokratiedefizit, der fehlenden Gleichstellung von Frauen und einem nur zum Teil aufgearbeiteten Missbrauchsskandal könne sich die katholische Kirche „nur noch sehr zaghaft aus dem Fenster lehnen“.