Koalitionsstreit über Krankenkassen-Milliarden
Berlin (dpa) - Im Koalitionsstreit um die Verwendung des 20-Milliarden-Überschusses bei den gesetzlichen Krankenkassen gibt es noch keine Einigung. Die FDP pochte am Samstag erneut darauf, die Praxisgebühr abzuschaffen.
CDU/CSU-Fraktionschef Volker Kauder (CDU), der vor allem die staatlichen Zuschüsse für die Kassen senken will, stellte dagegen in der „Süddeutschen Zeitung“ den Versicherten eine Beitragssenkung von 0,1 Prozentpunkten in Aussicht - was für den Einzelnen eine Entlastung von maximal 1,91 Euro pro Monat bedeuten würde.
Unions-Fraktionsvize Johannes Singhammer (CSU) mahnte zu „Vorsicht, Achtsamkeit und Zurückhaltung“. Würden alle derzeit kursierenden Vorschläge umgesetzt, wäre von dem Geld bald gar nichts mehr da, sagte Singhammer der Nachrichtenagentur dpa in Berlin. Angesichts möglicher Zukunftsbelastungen müsse man es aushalten können, auch mal eine Weile mit Überschüssen zu leben.
Das Gesundheitsministerium, Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) wie auch Singhammer widersprachen entschieden Medienberichten über Konturen einer Einigung. „Die Gespräche laufen noch. Es ist noch nichts entschieden“, sagte eine Sprecherin von Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) in Berlin.
Die Bundesjustizministerin sagte der dpa beim bayerischen FDP-Landesparteitag in Lindau, die Abschaffung der Praxisgebühr „würde den Versicherten direkt zu Gute kommen“. Zudem habe die Praxisgebühr nicht die erhoffte Steuerungswirkung erbracht. „Wir liegen nach wie vor mit durchschnittlich 18 Arztbesuchen (pro Kopf) im Jahr im europäischen Spitzenbereich.“ Ähnlich äußerte sich FDP-Generalsekretär Patrick Döring auf einem FDP-Landesparteitag in Kiel.
Medien hatten zuvor berichtet, in der Koalition zeichne sich eine Einigung ab, wonach ein kleinerer Teil des Überschusses von fast 20 Milliarden Euro an den Bundeshaushalt abgetreten werden solle. Zugleich solle der Beitragssatz spätestens zum 1. Januar 2013 um 0,1 Punkte auf dann 15,4 Prozent sinken. Schwarz-Gelb hatte erst Anfang 2011 den Krankenkassen-Beitragssatz von 14,9 auf 15,5 Prozent erhöht.
SPD-Fraktionsvize Elke Ferner bezeichnete die in Aussicht gestellte Beitragssenkung - wegen der Beitragsbemessungsgrenze unter zwei Euro - als „Witz“. Auch verbiete es sich, den Bundeszuschuss an die Krankenkassen für versicherungsfremde Leistungen zu kürzen. Dieser wird unter anderem für die Mitversicherung von Kindern gezahlt. Die Gesundheitspolitikerin der Grünen, Bigi Bender, sagte: „Die Finanzlage lässt es zu, die Praxisgebühr abzuschaffen - denn die hält nicht, was sich alle von ihr versprochen hatten.“
Ein Sprecher der Barmer-Ersatzkasse kritisierte Überlegungen zur Senkung der Beiträge wie der Steuerzuschüsse. „Angesichts steigender Ausgaben und dem baldigen Auslaufen wichtiger Spargesetze sind die Planspiele der Politik unseriös.“ Die Pläne brächten den Versicherten fast nichts, gefährdeten aber gleichzeitig den Finanzhaushalt der Krankenkassen.
Eine Senkung der Beiträge um 0,1 Prozentpunkte würde Arbeitgeber und Versicherte um insgesamt eine Milliarde Euro entlasten. Die Praxisgebühr bringt jährlich zwei Milliarden Euro ein.