Lehrer fürchten Nachteile für Förderschüler
Ab kommender Woche gilt der Rechtsanspruch auf Inklusion. Er ist umstritten.
Bielefeld/Düsseldorf. Wenn Sonderpädagogin Sarah Drexelius Englischunterricht gibt, dann sitzen vor ihr gerade mal elf Schüler. Die anderen sind nicht etwa krank — diese Klassengröße ist an der Bielefelder Bonifatiusschule Alltag. Sie ist eine Förderschule. Dort können beeinträchtigte Schüler individuell und geschützt lernen.
Von kommender Woche an greift in NRW nun ein Rechtsanspruch für behinderte Kinder auf Unterricht in einer Regelschule — zunächst in den Eingangsklassen 1 und 5. Eltern können sich aber auch weiter für spezielle Förderschulen entscheiden.
Für die Kinder bedeutet der Besuch einer solchen Schule oft Ausgrenzung von gesellschaftlicher Teilhabe und beruflichen Möglichkeiten. Das Inklusionsgesetz soll dies verhindern. Obwohl niemand gemeinsames Lernen von Kindern mit und ohne Behinderung grundsätzlich infrage stellt, haben Förderlehrer aber Sorgen, wie ihre Schützlinge künftig in Regelschulen betreut werden.
Zum Beispiel ein Kind wie der elfjährige Ganja. Auch er sitzt im Englischunterricht von Frau Drexelius. An diesem Morgen ist er schlecht drauf. „What’s your name?“, fragt ihn ein Klassenkamerad. „Seh’ ich so aus, als ob ich antworten will?“, patzt Ganja ihn an. Dann legt er seinen Kopf auf den Tisch.
„Gestern hat ein anderes Kind vor Wut einen Tisch in die Luft gehoben und gedroht, ihn auf uns zu werfen“, erzählt ihre Kollegin Silke Kurth. Situationen wie diese bekommen beide in der Regel schnell unter Kontrolle. Doch wie würden die Lehrer auf einer Regelschule mit seinem Verhalten umgehen — ohne sonderpädagogische Ausbildung und mit 25 weiteren Schülern, um die sie sich kümmern müssen?
Mancher Regelschullehrer, so sieht es Schulleiterin Reinhild Saal, könnte dann schnell an seine Grenzen stoßen. Saal fürchtet zudem, dass auf einer allgemeinen Schule die Lehrerstellen zu knapp bemessen sind, um den Kindern gerecht zu werden. Im NRW-Schulministerium hingegen hält man die künftige personelle Besetzung an den Regelschulen für eine gute Grundlage.
Insgesamt sollen rund 3200 neue Lehrerstellen für inklusives Lernen zur Verfügung gestellt werden. Umfangreiche Weiterbildungsangebote würden den allgemeinen Lehrkräften das nötige Wissen vermitteln, um die neuen Herausforderungen zu meistern, versichert ein Sprecher.