Lernen Lehrer kritisieren Inklusion
Eine von der Gewerkschaft VBE in Auftrag gegebene Umfrage zeigt Unzufriedenheit der Pädagogen.
Düsseldorf. „Es ist fast so, als würde ein Hausarzt plötzlich am Operationstisch stehen.“ Mit diesem Bild umschreibt Udo Beckmann, Landesvorsitzender der Lehrergewerkschaft Verband Bildung und Erziehung (VBE), wie sich seiner Einschätzung nach viele Lehrer in NRW fühlen mögen. Und zwar dann, wenn sie ohne eine entsprechende Vorbereitung, Aus- und Fortbildung vor die Aufgabe gestellt werden, gemeinsamen Unterricht von Kindern mit und ohne Behinderung durchzuführen. Denn eben das ist eines der Ergebnisse einer vom VBE in Auftrag gegebenen repräsentativen Forsa-Umfrage unter 501 Lehrern an allgemeinbildendenden Schulen in NRW zur Inklusion (siehe Infokasten): Dass die inklusiv unterrichtenden Lehrkräfte an ihrer Schule über keine sonderpädagogischen Kenntnisse verfügen, sagen 54 Prozent der befragten Lehrer.
Dabei hält eine Mehrheit von 60 Prozent der befragten Lehrer eine gemeinsame Unterrichtung von allen Kindern mit und ohne Behinderung durchaus für sinnvoll. Dafür müssten aber bessere Bedingungen geschaffen werden. So sagen 94 Prozent der Befragten, dass es in inklusiven Klassen eine Doppelbesetzung aus Lehrern und Sonderpädagogen geben solle. Doch Wunsch und Wirklichkeit, so zeigt die Umfrage, klaffen weit auseinander. 61 Prozent der Lehrer, die in Schulen mit inklusiven Lerngruppen unterrichten, gaben an, dass die Lerngruppe für gewöhnlich von nur einer Person unterrichtet wird.
Sowohl bei der personellen Ausstattung für den inklusiven Unterricht wie auch für die Fortbildungsangebote vergeben die Lehrer schlechte Noten in der Nähe zum Mangelhaft.
Dabei betont Beckmann, dass die Lehrer, wenn die Rahmenbedingungen stimmen, sich nicht grundsätzlich gegen inklusiven Unterricht stellen. Für eine gemeinsame Unterrichtung von allen Kindern mit und ohne Behinderung spreche das Voneinanderlernen sowie die bessere Integration von Kindern mit einer Behinderung. Auch hätten viele Pädagogen argumentiert, dass die Förderung von Toleranz gegenüber Kindern mit einer Behinderung und die Förderung sozialer Kompetenzen positive Effekte seien.
Die am häufigsten genannten Gründe, die aus Lehrersicht gegen die gemeinsame Unterrichtung sprechen, sind laut der Umfrage, dass die Regelschule den erhöhten Förderbedarf nicht leisten könne, dass Kinder mit einer Behinderung überfordert würden und dass Kinder ohne Behinderung durch die Inklusion benachteiligt würden (Lernbehinderungen). Als skandalös bezeichnet Beckmann den Punkt, dass 48 Prozent der Lehrer, die an Schulen unterrichten, an denen es bereits inklusive Lerngruppen gibt, angeben, dass die Klassengröße von inklusiven Klassen im Vergleich zu nicht inklusiven Klassen beibehalten wurde.
Für eine angemessene Klassengröße hält der VBE eine Schülerzahl von 24 Schülern pro Klasse, wobei jedes Kind mit Behinderung doppelt gezählt werden müsse.
Aus all dem zieht der VBE die Schlussfolgerung, dass es zur Sicherstellung einer weitgehenden Doppelbesetzung aus Sonderpädagogen und Regelschullehrkraft 7000 zusätzliche Stellen braucht.
Was schon deswegen illusorisch sein dürfte, weil es genügend entsprechend ausgebildete Pädagogen gar nicht auf dem Markt gibt. Und von den weiterhin bestehenden Förderschulen will das Schulministerium diese auch nicht abziehen. Eine Sprecherin von Schulministerin Sylvia Löhrmann (Grüne) sagte gegenüber unserer Zeitung, dass man weiterhin dem Elternwillen folgen wolle und Förderschulen anbieten will. Im Übrigen investiere das Land bis 2017 eine Milliarde Euro zusätzlich in die Inklusion. Dabei geht es um 3200 Stellen. Außerdem würden 100 Millionen Euro in die Aus-, Fort- und Weiterbildung investiert. Auch würden 2300 zusätzliche Studienplätze für Sonderpädagogik angeboten. Man nehme die Kritik der Lehrer ernst, ganz nachzuvollziehen sei sie jedoch nicht. Wie bei jedem Umstellungsprozess gebe es natürlich auch Probleme. Doch dort, wo die Lehrer bereits praktische Erfahrung mit inklusivem Unterricht gemacht hätten, sei deren Urteil oft deutlich besser, als es die Umfrage ausweise.
Die Umfrage im Netz:
bit.ly/1OzWIKQ