Lieberknecht verspricht Transparenz bei der NSU-Aufarbeitung
Erfurt/Berlin (dpa) - Verfassungsschützer von Bund und Ländern haben die Weitergabe Hunderter ungeschwärzter Geheimakten aus Thüringen an den NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestags heftig kritisiert.
Nach Informationen des „Spiegels“ sorgt für Aufruhr, dass die bislang 778 Akten etwa die Klarnamen von V-Mann-Führern und anderen Mitarbeitern des Verfassungsschutzes enthalten. Von „Geheimnisverrat“ sei die Rede, berichtet das Magazin. Thüringens Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht (CDU) verteidigte die Weitergabe am Sonntagabend und stellte sich in hinter ihren Innenminister Jörg Geibert (CDU).
„Wer nicht aufklärt, fliegt auf“, sagte Lieberknecht auf ihrem Flug zu einem Russland-Besuch. Es dürfe keinen „parlamentarisch kontrollfreien Raum“ geben. Auch die Abgeordneten in den Gremien unterlägen der Geheimhaltungspflicht. Maßstab für Thüringen seien die Worte von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), die bei der Trauerfeier für die NSU-Opfer lückenlose Aufklärung versprochen hatte. „Diesen Auftrag haben wir im Interesse der Opfer zu erfüllen, schonungslos und lückenlos, unabhängig von Personen oder Instituten.“
Nach dpa-Informationen wurde gegen Thüringens Innenminister Jörg Geibert (CDU) auch der Vorwurf des Verdachts auf Landesverrat laut. Ein Amtskollege legte der Innenministerkonferenz demnach am vergangenen Montag eine entsprechende Vorlage zur Prüfung vor. Diese erhielt jedoch keine Mehrheit. Lieberknecht nannte den Verdacht „unvorstellbar“.
Die Regierungschefin forderte eine neue Debatte über Standards der parlamentarischen Aufklärung für den Fall, dass der Thüringer Weg der Transparenz gestoppt werden sollte. Es dürfe nicht der Eindruck entstehen, Behörden würden Dinge verschleiern und so möglicherweise sich selbst schützen wollen.
Zuvor hatte bereits das Thüringer Innenministerium angekündigt, auch weiterhin Geheimakten offenlegen zu wollen. „Wir bleiben unserer Linie weiter treu“, sagte ein Sprecher der Nachrichtenagentur dpa in Erfurt. Die 778 Akten stammten aus den Jahren 1991 bis 2002 und seien an die Geheimschutzstelle des Bundestages gegangen.
Ende Oktober würden weitere 1000 ungeschwärzte Akten aus dem Zeitraum 2003 bis 2012 an die NSU-Ausschüsse von Bundestag und Landtag gehen. Damit komme Thüringen den Beweisbeschlüssen der Gremien nach. Die Akten seien weiter als Verschlusssachen eingestuft und würden der Geheimschutzverordnung des Bundestages und des Landtages unterliegen, begründete der Sprecher das Vorgehen.
Die Ausschüsse der Parlamente befassen sich seit Monaten mit der Mordserie, die der Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) zugeschrieben wird. Die drei aus Thüringen stammenden Mitglieder - Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt - waren Ende der 90er Jahre untergetaucht. Der rechtsextremistischen Gruppe werden zehn Morde zur Last gelegt.
Die Extremismusakten aus Thüringen sollen laut „Spiegel“ als „vertraulich“ oder „geheim“ eingestufte Dokumente enthalten. Sie würden neben Unterlagen des Thüringer Verfassungsschutzes auch solche anderer Landesämter und des Bundesamtes enthalten. Vor allem dieser Umstand soll nach dpa-Informationen für massive Kritik gesorgt haben.
In einer Telefonkonferenz der Verfassungsschutzchefs Ende September soll laut „Spiegel“ von „Geheimnisverrat“ und möglichen „strafrechtlichen Konsequenzen“ die Rede gewesen sein. Auch in einer weiteren Schaltkonferenz zwischen Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) und seinen Länderkollegen soll das Vorgehen Geiberts kritisiert worden sein.
Thüringen hatte sich in den vergangenen Monaten immer wieder verpflichtet, die Aufklärung der NSU-Mordserie und möglicher Pannen bei den Ermittlungen der Sicherheitsbehörden voranzubringen. Ministerpräsidentin Lieberknecht plädiert für eine parlamentarische Kontrolle der Geheimdienste. „Die Klarnamen der V-Leute sollten künftig den Parlamentarischen Kontrollkommissionen vorliegen“, sagte sie kürzlich der dpa. Dies indes gilt als höchst umstritten.
Inzwischen soll sich der Bundesinnenminister mit dem Vorsitzenden des NSU-Untersuchungsausschusses, Sebastian Edathy (SPD), darauf verständigt haben, Akten aus Thüringen zunächst unangetastet zu lassen. Vorgesehen sei, dass der Sonderermittler des Ausschusses das Thüringer Material vorab prüfe und dann die Einsicht koordiniere, bestätigte das Erfurter Innenministerium.