Merkel: Atomlaufzeit-Verlängerung von 2010 war Fehler
Berlin (dpa) - Belastet von weiterem Unfrieden in der Koalition hat Kanzlerin Angela Merkel einen nationalen Kraftakt für den Atomausstieg bis 2022 gefordert. „Es handelt sich um eine Herkulesaufgabe.
Ohne Wenn und Aber“, sagte die CDU-Chefin am Donnerstag in einer Regierungserklärung im Bundestag.
Für Merkel ist die Energiewende zu mehr Ökostrom nur möglich, wenn Bürger und Parteien beim nötigen Netzausbau mitziehen. Die Opposition rechnete in der Debatte mit Merkel scharf ab: Die Atomwende sei unglaubwürdig.
Merkel machte deutlich, dass sie ihre Entscheidung von 2010 für längere Atomlaufzeiten heute als Fehler betrachtet. Die Atomkatastrophe in Japan habe ihr klar gemacht, dass das Restrisiko Wirklichkeit werden könne: „Fukushima hat meine Haltung zur Kernenergie verändert.“
Unterdessen brodelt es in der schwarz-gelben Koalition wegen Differenzen beim Atomausstieg und der Euro-Rettung weiter. Nun soll auf einer erneuten Klausurtagung der Schulterschluss versucht werden. Im kleinen Kreis wollen die Partei- und Fraktionsvorsitzenden von CDU, CSU und FDP vor der Sommerpause die Streitfragen erörtern. Merkel stellte diese Initiative nach dpa-Informationen am Mittwochabend in einer Sondersitzung der FDP-Fraktion vor.
CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe kritisierte Indiskretionen nach dem jüngsten Koalitionsausschuss. Der „Süddeutschen Zeitung“ sagte er, Versuche, sich anschließend von gemeinsamen Beschlüssen zu distanzieren, seien nicht hilfreich. Das zielte offensichtlich auch gegen seinen FDP-Kollegen Christian Lindner, der sich nach den Atomentscheidungen entsprechend verhalten hatte.
Am Donnerstagabend wollten die Koalitionsfraktionen über einen gemeinsamen Entschließungsantrag zu weiteren Griechenland-Hilfen abstimmen. Kernforderung ist eine Beteiligung privater Geldgeber bei weiteren Milliarden-Hilfen an Athen. Auch müsse es eine zügige Privatisierung von griechischem Staatsvermögen geben. Zuletzt hatte es vor allem in der FDP großen Unmut über drohende weitere Milliarden-Belastungen für die Steuerzahler gegeben. An diesem Freitag stimmt der Bundestag über den Antrag ab. Spannend wird, ob und wie viele Abweichler es in den schwarz-gelben Reihen gibt.
FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle geht insgesamt von einer Einigung auf die Griechenlandhilfen sowohl auf deutscher als auch europäischer Ebene aus. „Alle wissen, dass es ernst ist. Wenn Griechenland in einen unkontrollierten Staatsbankrott abgleiten würde, sind es Gefahren, die keiner richtig abschätzen kann“, sagte er im ARD-„Morgenmagazin“. Und: „Ohne die Zustimmung Deutschlands gibt es keine weiteren Zahlungen (...) Deshalb werden wir im Parlament am Freitag der Bundesregierung eine klare Handhabe (...) geben, wie sie vorgehen kann.“
In der Atomdebatte warf SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier der Kanzlerin Unaufrichtigkeit vor: „Es kann doch nicht sein, dass ausgerechnet Sie sich hier hinstellen als die Erfinderin der Energiewende in Deutschland.“ Vor zehn Jahren habe Merkel Rot-Grün mit Hetzreden durchs Land gejagt. Er zeigte aber Bereitschaft der SPD, die geplante Änderung des Atomgesetzes mitzutragen, da diese auf den rot-grünen Beschluss zurückgehe. Eine Zustimmung zu anderen Gesetzen zur Energiewende macht die SPD von der weiteren Prüfung abhängig. Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin kritisierte die geplanten Ausbauziele bei den erneuerbaren Energien als zu gering.
Acht Kernkraftwerke sollen sofort stillgelegt werden. Die anderen neun Anlagen sollen schrittweise von 2015 bis Ende 2022 vom Netz gehen. Bisher hatte Atomstrom einen Anteil von rund 22 Prozent an der deutschen Stromproduktion. Die Regierung wolle bis 2020 einen Ökostromanteil von 35 Prozent und bis 2050 von 80 Prozent. Der Stromverbrauch soll bis 2020 um 10 Prozent gesenkt werden. „Wir können als erstes Industrieland der Welt die Wende zum Zukunftsstrom schaffen“, sagte Merkel.