Rätselhafte EHEC-Epidemie lässt nach
Berlin/Magdeburg (dpa) - Die EHEC-Epidemie in Deutschland schwächt sich ab. Auch wenn Mediziner noch keine Entwarnung geben - die Zahl der Neuerkrankungen in den besonders betroffenen Bundesländern wie Niedersachsen und Hamburg nimmt ab.
Inzwischen sind laut offiziellen Angaben 29 Menschen nach einer EHEC-Infektion gestorben. Der 29. Tote wurde am Donnerstag aus Hessen gemeldet.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) lobte das Krisenmanagement. Die Zusammenarbeit zwischen den Stellen in Bund und Ländern sei gut, sagte sie nach einem Treffen mit den Ministerpräsidenten in Berlin. Sie habe keinen Zweifel, dass an der komplizierten Suche nach der Quelle des Darmkeims mit Nachdruck gearbeitet werde.
Wissenschaftler versuchten auch am Donnerstag, mit Proben von Gurken und Gemüsesprossen die Infektionsquelle aufzuspüren - ohne Erfolg. Weiterhin gelten Sprossen, Salat, Tomaten und Gurken als mögliche Träger des Bakteriums.
Im Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) brachten Untersuchungen von EHEC-verseuchten Gurkenproben aus Magdeburg noch keine neuen Hinweise. Die Gurkenreste waren am Mittwoch in einer Mülltonne in Magdeburg gefunden worden.
Die Tonne gehört einer Familie, die an EHEC erkrankte. Das Berliner BfR-Labor untersucht nun, ob es sich bei dem gefundenen Erreger um denselben aggressiven Typ O104:H4 handelt, der als Auslöser der aktuellen EHEC-Welle gilt.
Das Robert Koch-Institut (RKI) in Berlin beobachtet die Seuche nun schon im zweiten Monat. Der früheste Beginn der Durchfallerkrankung datiert vom 1. Mai. Insgesamt erkrankten seitdem den Angaben zufolge rund 2800 Patienten nachweislich an EHEC, davon 722 an der lebensgefährlichen Komplikation HUS (hämolytisch-urämisches Syndrom).
Eine der wenigen Spuren, die Wissenschaftler nach wie vor für erfolgversprechend halten, sind Proben von Sprossengemüse von einem Betrieb im Kreis Uelzen in Niedersachsen. „Es läuft alles auf diesen Betrieb hinaus, es läuft alles auf Sprossen hinaus“, sagte der Sprecher des Landwirtschaftsministeriums in Hannover, Gert Hahne. Doch fehle weiterhin der Labornachweis.
Der verdächtigte Biohof in Bienenbüttel darf außer Sprossen weiterhin anderes Gemüse wie Tomaten und Gurken verkaufen. Hahne bestätigte einen Bericht von „Spiegel Online“. „Wir haben nur Hinweise auf Sprossen.“ Für eine Sperrung müsse man Beweise haben.
Die Chance, die EHEC-Epidemie aufzuklären, ist nicht groß. Nach BfR-Angaben konnte in der Vergangenheit nur ein Viertel der EHEC-Ausbrüche in Deutschland bis zur Quelle des Erregers zurückverfolgt werden. Hauptgrund: verdächtigte Lebensmittel sind zum Zeitpunkt der Erkrankungen meist restlos verbraucht.
Die Zahl der EHEC-Toten in Niedersachsen stieg auf zehn. Eine Häufung von Fällen sei nach einer Familienfeier im Landkreis Göttingen registriert worden, teilte das Gesundheitsministerium mit. Die Gruppe sei von einer Catering-Firma aus dem Landkreis Kassel in Hessen beliefert worden.
Insgesamt stellten die niedersächsischen Behörden eine langsamere Ausbreitung der Epidemie fest. Die Zahl der Fälle und Verdachtsfälle stieg auf 564. Bei 452 Erkrankten gab es einen Labornachweis für EHEC. 112 Menschen erkrankten an HUS. „Grund zur Entwarnung gibt es noch nicht“, sagte Hahne.
Auch in Hamburg sprachen die Behörden von Entspannung. Die Ausbreitung verlangsame sich weiter. Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks (SPD) sagte: „Es steigt mit jedem Tag die Hoffnung, dass wir den Scheitelpunkt wirklich überstanden haben.“ Insgesamt meldete Hamburg bisher 955 EHEC-Fälle oder -Verdachtsfälle.
Ähnlich war die Lage in Schleswig-Holstein. Rückmeldungen aus den Krankenhäusern deuteten auf eine Entspannung hin, hieß es aus dem Gesundheitsministerium in Kiel. In Schleswig-Holstein hätten sich bislang 747 Menschen infiziert - 52 Erkrankte mehr als am Mittwoch.
Spanien will auf Schadenersatzklagen gegen Deutschland verzichten. Auf mögliche private, rechtliche Forderungen der Bauern gegen den Hamburger Senat habe die Regierung aber keinen Einfluss, sagte Spaniens Europaminister Diego Lopez Garrido in Berlin. Zur Warnung des Hamburger Senats vor Gurken aus Spanien sagte er: „Es wurden Fehler gemacht.“ Nach Deutschland gehe etwa ein Viertel aller Gemüseexporte.
Der Ministerpräsident der südspanischen Region Andalusien, José Antonio Griñán, warnte davor, in einen „Deutschen-Hass“ zu verfallen. Die Deutschen seien die wichtigsten Kunden andalusischer Landwirte. Auch Gemüsebauern in Südspanien hatten Millionenverluste erlitten.
Die unter der EHEC-Krise leidenden Bauern sollen nach dem Willen der EU-Kommission höher entschädigt werden als geplant: 210 Millionen Euro statt der zunächst vorgeschlagenen 150 Millionen Euro. Die EU-Staaten müssen dem noch zustimmen.