Merkel will mehr Zusammenhalt und warnt USA
Berlin (dpa) - Wohin will Kanzlerin Angela Merkel mit der großen Koalition? So richtig klar wird das beim Vortrag ihrer Ziele im Bundestag bis 2017 nicht. In ihrer Regierungserklärung überrascht sie mit scharfer Kritik an Obamas Geheimdiensten.
Merkel will mit einer Reformagenda den sozialen Zusammenhalt in Deutschland stärken. „Die soziale Marktwirtschaft ist unser Kompass“, sagte Merkel am Mittwoch in ihrer Regierungserklärung zu den Zielen der großen Koalition im Bundestag. Von 8,50 Euro Mindestlohn und dem Rentenpaket verspricht Merkel sich mehr Gerechtigkeit. Ungewöhnlich scharf kritisierte sie die Abhöraktivitäten des US-Geheimdienstes NSA in Deutschland.
„Ein Vorgehen, bei dem der Zweck die Mittel heiligt, bei dem alles, was technisch machbar ist, auch gemacht wird, verletzt Vertrauen, es sät Misstrauen“, betonte Merkel auch an die Adresse von US-Präsident Barack Obama. Die schwarz-rote Koalition wolle Bürgerrechte und das Netz verteidigen: „Wir wollen, dass das Internet eine Verheißung bleibt.“ Einen Abbruch der Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen zwischen Europa und den USA oder andere Sanktionen lehnte Merkel jedoch ab: „Trotzhaltungen haben noch nie zum Erfolg geführt.“
Innenpolitisch blickte Merkel zunächst zurück, auf die Zeit vor den Arbeitsmarktreformen von SPD-Kanzler Gerhard Schröder. Inzwischen gehe es Deutschland wieder so gut wie lange nicht mehr. „Von der sozialen Marktwirtschaft als Auslaufmodell spricht keiner mehr. Vom kranken Mann Europas erst recht nicht mehr“, betonte die Kanzlerin.
Das Land dürfe sich darauf aber nicht ausruhen: „Trotz aller Erfolge dürfen wir unsere Hände nicht in den Schoß legen.“ Sie betonte das Miteinander in Deutschland: „Nicht Partikularinteressen, sondern der Mensch steht im Mittelpunkt unseres Handelns.“
Linksfraktionschef Gregor Gysi warf Merkel (CDU) vor, mit der SPD die Politik der schwarz-gelben Koalition fortsetzen zu wollen. „Ich glaube, dass die große Koalition zunächst hektisch das eine oder andere beschließen wird, aber viel zu wenig wird verändert“, sagte Gysi. „Wir werden später Stillstand und dann Herumwurstelei erleben.“
Auch die Grünen zeigten sich enttäuscht. „Was ist eigentlich Ihre Idee für die nächsten vier Jahre, Frau Merkel?“, fragte Grünen-Fraktionschef Toni Hofreiter. Bei der Energiewende tue sie nichts gegen die höchste Braunkohlestromproduktion seit 1990. „Masse macht noch keine Klasse“, sagte er mit Blick auf die große Koalition. Union und SPD haben im Parlament eine erdrückende 80-Prozent-Mehrheit. Die Opposition kam am Mittwoch in zweieinhalb Stunden Debatte nur auf gut 40 Minuten Redezeit.
Beim geplanten Mindestlohn überwiegen nach Ansicht Merkels die Vorteile. 2015 soll ein bundesweiter Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde kommen; tarifvertraglich vereinbarte Abweichungen sollen bis Ende 2016 möglich sein.
Merkel verteidigte das Rentenpaket mit einer Ausweitung der Mütterrente und der Rente mit 63 bei 45 Beitragsjahren. „Die Menschlichkeit einer Gesellschaft zeigt sich im Umgang mit Schwachen, (...) wenn sie alt sind und wenn sie krank sind.“ Die pflegenden Angehörigen von Kranken nannte sie die „stillen Helden unserer Gesellschaft“.
Als „Herkulesaufgabe“ nannte sie das Meistern der Energiewende. „Es gibt kein weiteres vergleichbares Land auf der Welt, das eine solch radikale Veränderung seiner Energieversorgung anpackt.“ Bei der Steigerung des Ökostromanteils müsse der Strom für Bürger und Industrie bezahlbar bleiben.
Mit Blick auf die Euro-Krise mahnte Merkel: „Wir dürfen der trügerischen Ruhe jetzt nicht trauen.“ Die Krise bestimme zwar nicht mehr täglich die Schlagzeilen, aber: „Sie ist allenfalls unter Kontrolle, aber noch nicht dauerhaft überwunden“, sagte Merkel, die wegen des Skiunfalls ihre Rede im Sitzen hielt.
Am 25. Mai findet die Europawahl statt. Union und SPD wollen trotz des Wahlkampfes ihre Arbeit in der großen Koalition nicht gegenseitig blockieren. Merkel war am 17. Dezember zum dritten Mal zur Kanzlerin gewählt worden - die Union hatte mit 41,5 Prozent die Bundestagswahl am 22. September klar gewonnen, brauchte aber einen Partner.
Steuererhöhungen erteilte Merkel erneut eine Absage. Die Politik müsse mit dem auskommen, was sie einnehme. Zudem will die Kanzlerin bei der stockenden Regulierung der Finanzmärkte Druck machen. Die Politik habe den Menschen versprochen, dass sich eine verheerende weltweite Finanzkrise wie 2008/2009 nicht wiederhole: „Wer ein Risiko eingeht, der haftet auch für die Verluste. Und nicht mehr der Steuerzahler.“