Merkels Spagat bei der Kandidaten-Kür

Die Kanzlerin muss bei der Wulff-Nachfolge die Opposition einbinden, ohne die FDP zu verprellen. Ein heikles Unterfangen.

Düsseldorf. Es war ein langer, quälender Prozess, das Ende nicht mehr überraschend: Der Rücktritt von Christian Wulff hat die Berliner Szene nicht geschockt. Denn er wurde erwartet. Schon seit Wochen waren Kanzlerin Angela Merkel (CDU), FDP-Chef Philipp Rösler und der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer auf das Szenario vorbereitet.

Bestenfalls halbherzig wurden die Berichte dementiert, längst hätten sie sich auf einen Plan B verständigt. Die Ansage der Kanzlerin war am Freitag im Kern auch klar: Wir suchen einen Kandidaten, mit dem SPD und Grüne gut leben können. Und er soll aus den eigenen Reihen kommen.

Es ist also ein Spagat, den das schwarz-gelbe Regierungslager und insbesondere die Kanzlerin zu meistern haben. Und es ist auch eine gewisse Bringschuld. Denn die letzten beiden Bundespräsidenten — Horst Köhler und Christian Wulff — waren beide Merkels Kandidaten. Beide traten, wenn auch aus höchst unterschiedlichen Gründen, zurück. Der nächste Mann, die nächste Frau muss es also können, muss das nötige Format mitbringen und über das eigene politische Lager Ausstrahlung entwickeln.

Denn die Mehrheiten sind denkbar knapp. Schon beim letzten Mal, als der Vorsprung von Union und FDP in der Bundesversammlung noch deutlich größer war, hatte Wulff den dritten Wahlgang gebraucht, um sich gegen den rot-grünen Kandidaten Joachim Gauck durchzusetzen. Dieser hatte damals in den Reihen der FDP viele Anhänger, die hat er heute noch.

Ist also Gauck der logische Kandidat? Wohl eher nicht, und zwar ironischerweise vor allem wegen der Befindlichkeit der FDP. Dort wird schon seit Monaten geargwöhnt, die CDU sehne sich nach der Rückkehr in die Große Koalition. In der Frage der Zeit, der Euro-Krise, fühlen sie sich von der omnipräsenten Kanzlerin überrollt, Vizekanzler Rösler findet nicht mehr statt. Und die vorsichtigen Absetzbewegungen der FDP etwa bei der Ausweitung der Griechenland-Garantien verpufften, weil SPD und Grüne den Merkel-Kurs mittragen. Ein Präsident Gauck würde von der FDP-Spitze als Affront verstanden.

Die Zeit drängt, innerhalb von 30 Tagen muss das neue Staatsoberhaupt gewählt sein. Schon am Freitagabend wurde über die Wulff-Nachfolge beraten, aber natürlich glühten bereits am Nachmittag die Drähte. In Kreisen der nordrhein-westfälischen CDU hält man Bundestagspräsident Norbert Lammert, der aus Bochum stammt, für den Favoriten, habe der sich doch auch im gegnerischen Lager Ansehen erworben. Lammert wäre für Merkel eine eher unbequeme Lösung, hat er doch zuletzt mehrfach Merkel für ihre Missachtung des Bundestags kritisiert.

Wer es auch wird: Merkel muss bei der Auswahl große Sorgfalt walten lassen. Noch einen Fehlgriff kann sie sich nicht leisten.