Millionen Arme in Deutschland: Quote nur leicht gesunken

Berlin (dpa) - Trotz guter Wirtschaftslage ist die Armut in Deutschland nur leicht gesunken. Betroffen sind laut dem am Dienstag präsentierten Armutsbericht des Paritätischen Wohlfahrtsverbands 12,5 Millionen Menschen.

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Das größte Armutsrisiko tragen demnach Arbeitslose, Alleinerziehende, Kinderreiche, Schlechtqualifizierte, Ausländer und Rentner. Gegen den Bundestrend stieg die Armutsquote in Nordrhein-Westfalen besonders stark.

Nach den jüngsten Zahlen sank der Anteil der Armen um 0,1 Prozentpunkte auf 15,4 Prozent im Jahr 2014. Damit sei der bundesweite Aufwärtstrend seit 2006 zunächst gestoppt, sagte der Geschäftsführer des Verbands, Ulrich Schneider. Erst zeigen müsse sich aber, „ob er tatsächlich beendet ist“. Die Quote, eine Zahl des Statistischen Bundesamts, gibt an, wer in Haushalten mit weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens lebt. Bei Singles liegt die Armutsschwelle etwa bei 917 Euro, bei Paaren mit zwei Kindern bei 1926 Euro. Für das Bundesamt sind die Betroffenen zunächst „armutsgefährdet“.

In neun Bundesländern nahm die Armutsquote ab - etwa in Bremen um minus 0,5 Punkte auf 24,1 Prozent, in Mecklenburg-Vorpommern um minus 2,3 Punkte auf 21,3 Prozent oder in Berlin um 1,4 Punkte auf 20 Prozent.

In Bayern stieg sie dagegen von 11,3 auf 11,5 Prozent, in Nordrhein-Westfalen sogar von 17,1 auf 17,5 Prozent. Das Ruhrgebiet sei dabei die „Problemregion Nummer Eins“, sagte Schneider. „Jeder fünfte Einwohner dieses größten Ballungsraums Deutschlands muss mittlerweile zu den Armen gezählt werden.“

Alarmiert zeigte sich Schneider von der Lage der Rentner. Bei ihnen sei die Armut seit 2005 etwa zehn Mal so stark angewachsen wie beim Rest der Bevölkerung. „Es ist eine Armut, die sich zum Großteil ganz knapp oberhalb des Sozialhilfeniveaus bewegt.“

Laut Deutschem Kinderhilfswerk sind sogar 19 Prozent der Kinder und Jugendlichen arm. Präsident Thomas Krüger forderte einen Aktionsplan gegen Kinderarmut. Schneider trat für eine Stärkung der Renten, der Grundsicherung, für mehr Bildung und steuerliche Umverteilung ein.

Rund 335 000 Menschen sind laut Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe ohne Wohnung - „so viele wie seit über zehn Jahren nicht mehr“, sagte Vize-Geschäftsführerin Werena Rosenke. Wohnungen fehlten für Wohnungslose, einkommensarme Haushalte und Zuwanderer.

Die Flüchtlinge fallen laut Schneider statistisch bei der Armut derzeit gar nicht und auch künftig kaum ins Gewicht. Pro Asyl warnte gleichwohl davor, das gerade im Bundestag beratene Asylpaket II für schnellere Verfahren drohe das Armutsrisiko zu vergrößern. Denn viele Asylbewerber dürften dann abgelehnt werden, aber nicht abgeschoben werden können. Sie würden dann geduldet, doch dieser Status erschwere den Zugang zu Jobs, sagte Geschäftsführer Günter Burkhardt. Der Paritätische Wohlfahrtsverband legte seinen Bericht erstmals gemeinsamen mit zahlreichen weiteren Sozialverbänden vor.

Die Kluft beim Einkommen ist laut der Sozialexpertin Dorothee Spannagel gestiegen, und zwar seit Ende der 90er Jahre mit einer Unterbrechung 2006 bis 2010. Hauptursache sei, dass es Lohnzuwächse vor allem bei den höheren Gehältern gegeben habe. Der Niedriglohnbereich sei davon weitgehend abgekoppelt, sagte die Forscherin bei der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung der Deutschen Presse-Agentur in Berlin.