Nach Wahl-Desaster: CDU und FDP geben sich Bedenkzeit
Berlin (dpa) - Die schwarz-gelbe Koalition von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hat personelle Konsequenzen und Korrekturen am Atom-Kurs nach dem Wahldesaster vom Sonntag vertagt.
Trotz der Debatte in der FDP - unter anderem über Wirtschaftsminister Rainer Brüderle - geht Merkel nicht von einer Kabinettsumbildung aus. „Ich habe keine Anzeichen dafür und von meiner Seite auch keine Absichten“, sagte die CDU-Chefin am Montag in Berlin. Die Bundes-FDP will im April Weichen für ihr künftiges Führungsteam stellen, und Brüderle tritt bald als Landesvorsitzender ab.
Merkel und FDP-Chef Guido Westerwelle wollen sich trotz der Wahlsiege von Grünen und SPD in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz nicht zu raschen Entscheidungen in der Atompolitik drängen lassen. Die von der Opposition geforderte Rücknahme der Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke ließen sie weiterhin offen. Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) plädierte dagegen für einen rascheren Ausstieg.
In Baden-Württemberg legt CDU-Wahlverlierer Stefan Mappus den Landesvorsitz seiner Partei nieder und will nach Informationen der Nachrichtenagentur dpa auch auf den Fraktionsvorsitz verzichten. Umweltministerin Tanja Gönner (CDU) will sich für Partei- und Fraktionsvorsitz bewerben. Der für Herbst geplante Landesparteitag mit Neuwahlen soll auf Mai vorverlegt werden, teilte Mappus am Abend schriftlich in Stuttgart mit. Um den Fraktionsvorsitz zeichnet sich damit eine Kampfkandidatur ab, da auch der bisherige Fraktionschef Peter Hauk wieder antreten will.
In Rheinland-Pfalz kündigte Ministerpräsident Kurt Beck (SPD) Gespräche mit den Grünen über eine neue Regierung für diesen Mittwoch an. Die knapp hinter der SPD liegende CDU bot Sozialdemokraten und Grünen Gespräche an. Bei der Landes-FDP führt das Debakel zu Konsequenzen an der Spitze: Brüderle gibt sein Amt als Parteivorsitzender nach 28 Jahren auf, der gesamte Landesvorstand tritt zurück. Brüderle werde den Vorsitz auf einem Sonderparteitag am 7. Mai zur Verfügung stellen, hieß es am Abend.
Führende Grünen-Politiker betonten die gewachsene Verantwortung nach den Erfolgen in Stuttgart und Mainz. Die Grünen waren in Baden-Württemberg zur zweitstärksten Kraft hinter der CDU aufgestiegen und können mit Winfried Kretschmann den ersten grünen Ministerpräsidenten stellen. In Rheinland-Pfalz kehrten die Grünen mit einem kräftigen Zuwachs in den Landtag zurück und können auch dort mit der geschwächten SPD regieren.
Kretschmann versprach einen neuen Regierungsstil: „Die Leute haben genug vom konfrontativen Regierungsstil von Mappus, von diesem Durchregieren, von diesem Machtinspiriertem.“ Mit SPD-Spitzenkandidat Nils Schmid werde er in sehr kooperativem Stil eine Koalition auf Augenhöhe führen. Die Wirtschaft reagierte zurückhaltend, aber nicht ablehnend auf die neue Parteienlandschaft in Baden-Württemberg.
Die SPD bemühte sich um Schadensbegrenzung, nachdem sie in beiden Ländern ihre schlechtesten Wahlergebnisse seit Jahrzehnten eingefahren hatte. Langfristige Auswirkungen auf das Parteiensystem wollte Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier nach den Grünen-Erfolgen nicht sehen. Parteichef Sigmar Gabriel sagte, die Grünen seien nicht „die neue Volkspartei“. Die SPD sei thematisch breiter aufgestellt.
Westerwelle ließ am Montag in Berlin ungeachtet massiver interner Kritik sofortige Konsequenzen für Parteivize und Wirtschaftsminister Brüderle, die baden-württembergische FDP-Chefin Birgit Homburger und für sich selbst offen. Die Entscheidung über das künftige FDP-Führungsteam werde bei einem Spitzentreffen am 11. April vor dem Bundesparteitag im Mai fallen. „Wir werden jetzt einen geordneten und überlegten Diskussionsprozess in der FDP haben, um dann die Konsequenzen zu ziehen.“
Zuvor hatte Westerwelle intern deutlich gemacht, dass er an seinen Ämtern als Parteichef und Außenminister festhalten will. Mit einem Rückzug Brüderles vom Ministeramt wurde in der FDP-Führung nicht mehr gerechnet. Homburger werde nicht kampflos ihren Fraktionsvorsitz im Bundestag abgeben, hieß es.
Merkel betonte, bis Mitte Juni würden die Konsequenzen aus der Japan-Katastrophe für die Kernenergie gezogen. Die Sicherheit der Meiler sei dabei am wichtigsten, aber auch die Bezahlbarkeit des Stroms und die Versorgungssicherheit. Umweltminister Röttgen sagte, der Atomausstieg und eine Erneuerung der Energiewirtschaft könnten das große Projekt der CDU werden. Aus der CSU kam teils scharfe Kritik am Schwenk der Bundesregierung in der Atompolitik. CSU-Chef Horst Seehofer stellte sich aber klar hinter Merkel.
SPD-Chef Sigmar Gabriel nannte die Wahlergebnisse ein klares Signal für einen Atomausstieg und gegen die Laufzeitverlängerung. Man könne aber nicht nur ausgesuchte Gruppen darüber entscheiden lassen, wie Merkel dies mit zwei Kommissionen vorhabe.
Die Linke bemühte sich nach ihrem Scheitern, eine neue Führungsdebatte zu vermeiden. Die Parteichefs Gesine Lötzsch und Klaus Ernst führten das schlechte Abschneiden vor allem darauf zurück, dass ihre Partei beim Atom-Thema nicht punkten konnte.
In Baden-Württemberg kommt die CDU laut vorläufigem amtlichem Endergebnis auf 39,0 Prozent (2006: 44,2). Die Grünen erzielen 24,2 Prozent (11,7), die SPD erhält 23,1 Prozent (25,2). Die FDP halbiert sich auf 5,3 Prozent (10,7). Die Linke kam mit 2,8 Prozent (3,1) nicht in den Landtag. Die Sitzverteilung im Stuttgarter Landtag: CDU 60 (69), Grüne 36 (17), SPD 35 (38), FDP 7 (15). Die Wahlbeteiligung stieg von 53,4 auf 66,2 Prozent an.
In Rheinland-Pfalz kommt die seit 2006 allein regierende SPD nach dem vorläufigen amtlichen Endergebnis mit 35,7 Prozent (2006: 45,6) auf ihr schwächstes Ergebnis zwei 52 Jahren. Die CDU erhält 35,2 Prozent (32,8). Die Grünen schaffen mit 15,4 Prozent die Rückkehr ins Parlament (4,6). Die FDP mit Landeschef Brüderle stürzt auf 4,2 Prozent (8,0). Auch die Linke scheitert mit 3,0 Prozent (2,6). Die Sitzverteilung im Mainzer Landtag: SPD 42 (53), CDU 41 (38), Grüne 18 (0). Die Wahlbeteiligung betrug 61,8 Prozent (58,2).