Neue Kostendebatte um Stuttgart 21
Stuttgart (dpa) - Wenige Tage nach dem grün-roten Sieg bei der Landtagswahl kommt das umstrittene Bahnprojekt Stuttgart 21 immer mehr aus der Spur. Ein Brief des Chefplaners Hany Azer an seinen Arbeitgeber, die Deutsche Bahn, hat Zweifel an der Finanzierbarkeit genährt.
Die Bahn dementiert Spekulationen um Kostensteigerungen. Baden-Württembergs SPD-Chef Nils Schmid macht die geplante Volksabstimmung über Stuttgart 21 zur Bedingung für das Bündnis mit den Grünen.
Schmid betonte im Interview der Nachrichtenagentur dpa: „Es wird keinen Koalitionsvertrag ohne eine Volksabstimmung zu Stuttgart 21 geben“. Dies sei eine Frage der Glaubwürdigkeit von SPD und Grünen, sagte Schmid, dessen Partei im Gegensatz zu den Grünen für das Projekt ist.
Chefplaner Azer soll kurz vor der Landtagswahl in einem Brief vor Kostenrisiken des 4,1 Milliarden Euro teuren Vorhabens gewarnt haben: Die geplanten Einsparungen von 900 Millionen Euro, mit denen die Bahn die Kosten auf den bisherigen Stand von 4,1 Milliarden Euro drücken will, seien nur schwer realisierbar. Stuttgart-21-Sprecher Wolfgang Dietrich sagte dazu auf Anfrage: „Über die Chancen und Risiken regelmäßig zu informieren, ist eine Aufgabe von Herrn Azer.“
Nach Angaben der Bahn sind die Einsparpotenziale von 900 Millionen Euro zum Großteil bereits realisiert. Die bisherige Kostenkalkulation habe Bestand. „Wir stehen nach wie vor hinter dem Projekt“, sagte ein Konzernsprecher.
Nach einem Bericht der „Stuttgarter Zeitung“ soll Bahnvorstand Volker Kefer mit Stuttgarts Oberbürgermeister Wolfgang Schuster (CDU) über etwaige Ausstiegskosten gesprochen haben. Der Bahnsprecher betonte dagegen am Freitag, bei dem Gespräch sei es um andere Themen gegangen. Die Stadt Stuttgart hatte der Bahn 459 Millionen Euro für am Bahnhof freiwerdende Grundstücke zur Stadtentwicklung gezahlt und auf Zinsen bis zum Baubeginn auf den Flächen verzichtet. Nach früheren Angaben ergeben sich allein zwischen dem Verkaufszeitpunkt 2001 und 2010/11 rund 720 Millionen Euro Zinsen.
Grünen-Fraktionschef Winfried Kretschmann hatte nach dem Wahlsieg erklärt, man wolle eine Volksabstimmung organisieren - „es sei denn, wir einigen uns in der Sache vorher“. Hinter dieser Äußerung könnte die Erwartung stehen, dass die Projektpartner freiwillig aussteigen, wenn die Nachbesserungen zu teuer werden. Der Stuttgart-21-Schlichterspruch sieht vor, dass nach dem Stresstest zur Leistungsfähigkeit des Tiefbahnhofs Nachbesserungen erforderlich sein könnten.
Ein Einigung der Finanziers auf einen Ausstieg und eine Wende zum Konzept eines sanierten Kopfbahnhofes (K 21) wäre aus Sicht der Grünen die günstigste Lösung. Denn die Partei kann sich nicht sicher sein, dass ihre Position bei einer Volksabstimmung zu Stuttgart 21 in ganz Baden-Württemberg eine Mehrheit finden wird.
Der Grünen-Landtagsabgeordnete und Verkehrsexperte Werner Wölfle sagte: „Wir haben schon immer gesagt, dass die Einsparungen auf höchst optimistischen Annahmen beruhen.“ Die Kosten des Vorhabens sollten künstlich heruntergerechnet werden. Chefplaner Azer, den er als nüchternen Sachwalter des Projektes kenne, traue sich jetzt wohl, die Wahrheit zu sagen.
Die Kommunikation für das Bahnprojekt wird überraschend erneut umgekrempelt. Voraussichtlich wird sie nicht mehr aus einer Hand erfolgen. „Die Abstimmung unter den vier Projektpartner ist langwierig, und die Kommunikation könnte verbessert werden, wenn sie von jedem einzeln organisiert wird“, sagte der Ende April ausscheidende Stuttgart-21-Sprecher Udo Andriof und bestätigte einen Bericht der „Stuttgarter Nachrichten“.
Der frühere Projektsprecher Wolfgang Drexler (SPD) zeigte sich n irritiert und verwundert: Dieser Schritt vor der Regierungsbildung sei nicht nachvollziehbar und mit den Partnern nicht abgesprochen. Damit würde der alte Zustand erreicht, als sich die Beteiligten zum Teil widersprochen und bei Anfragen der Öffentlichkeit die Verantwortung dem jeweils anderen zugewiesen hätten.
Stuttgart 21 sieht die Umwandlung des Kopfbahnhofs in eine unterirdische Durchgangsstation und deren Anbindung an die geplante Neubaustrecke nach Ulm vor.