Neuer DGB-Chef Hoffmann pocht auf weitere Sozialreformen
Berlin (dpa) - Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) will mit neuer Spitze die große Koalition von Union und SPD zu weiteren Sozialreformen treiben.
Der mit der großen Mehrheit von 93,1 Prozent gewählte DGB-Chef Reiner Hoffmann (58) strebt dabei vor allem Steuererleichterungen für Geringverdiener und eine Ausweitung der Mitbestimmung an. Der Nachfolger von Michael Sommer erhielt dafür bei seiner Wahl am Montag beim DGB-Bundeskongress in Berlin die klare Rückendeckung der acht Einzelgewerkschaften.
Der Chemie-Gewerkschafter und Sozialdemokrat Hoffmann kündigte an, sich auch gegen den Missbrauch von Werkverträgen und Leiharbeit sowie für ein sozialeres Europa einzusetzen. Er werde „bis zuletzt“ dafür kämpfen, dass es beim kommenden gesetzlichen Mindestlohn keine Ausnahmen geben werde, „weder für Langzeitarbeitslose noch für Jugendliche“.
Hoffmann erhielt 365 von 392 abgegebenen Stimmen. Gegen ihn votierten 27 Delegierte, keiner enthielt sich. Hoffmann trat ohne Gegenkandidat an. Sein Vorgänger Sommer (62) hatte nach zwölfjähriger Amtszeit nicht mehr kandidiert. Dies war die bislang zweitlängste Amtszeit eines DGB-Chefs nach Heinz-Oskar Vetter.
Die rund 400 Delegierten des 20. DGB-Bundeskongresses vervollständigten auch den von fünf auf vier Mitglieder verkleinerten geschäftsführenden Vorstand. Sie bestätigten Elke Hannack (CDU) mit 88,1 Prozent in ihrem Amt als stellvertretende DGB-Vorsitzende und wählten den Vorsitzenden des DGB-Bezirks Hessen-Thüringen, Stefan Körzell (51), neu in das Gremium. Körzell erhielt 80,9 Prozent der Stimmern. Wiedergewählt in den Bundesvorstand wurde Annelie Buntenbach mit 88,6 Prozent.
Hauptaufgabe von Hoffmann und seinen drei Vorstandskollegen wird sein, den DGB als politischen Arm der acht Einzelgewerkschaften zu stärken und die Gewerkschaften nach dem inzwischen gestoppten Mitgliederschwund attraktiver für jüngere Arbeitnehmer zu machen.
Der neue DGB-Chef pocht auf die Beseitigung der sogenannten kalten Progression im Steuertarif. „Das ist aber ohne Gegenfinanzierung nicht zu machen“, sagte er am Rande des Kongresses. Dabei sei zu erwägen, den Spitzensteuersatz von 45 Prozent schon ab einem Jahreseinkommen von 125 000 statt 250 000 Euro zu erheben.
Die „kalte Progression“ führt dazu, dass Arbeitnehmern wegen der im unteren Einkommensbereich stark steigenden Steuersätze und der Inflation von Lohnerhöhungen nichts oder kaum etwas übrigbleibt, der Fiskus davon aber durch Mehreinnahmen profitiert.
Die von Schwarz-Rot angepeilte Beitragsreform für die gesetzlichen Krankenkassen stößt auf Kritik. Der DGB findet es „nicht akzeptabel“, dass der Arbeitgeberanteil selbst bei steigenden Gesundheitsausgaben bei 7,2 Prozent festgeschrieben werden soll. „Wir wollen die klare paritätische Verteilung der Lasten“, forderte Buntenbach unter dem Beifall der Delegierten.
Position beziehen müssen der DGB und seine Einzelgewerkschaften auch zu der Frage, wie sie das Verhältnis zu den kleinen, aber mächtigen Spartengewerkschaften gestalten wollen. Es geht dabei um die von der Bundesregierung angestrebte gesetzliche Regelung zur Tarifeinheit nach dem Motto: Ein Betrieb - ein Tarifvertrag.
Damit soll der Zersplitterung der Tariflandschaft Einhalt geboten und verhindert werden, dass Betriebe durch Streiks von Spartenorganisationen lahmgelegt werden. Der DGB befürwortet dieses Ziel zwar grundsätzlich, lehnt aber eine Einschränkung des Streikrechts strikt ab. Das Thema steht auf der Tagesordnung des noch bis Freitag dauernden Kongresses und dürfte für heftige Diskussionen zwischen „Hardlinern“ und gemäßigten Gewerkschaftern sorgen. Das Kongress-Motto lautet Arbeit.Gerechtigkeit.Solidarität.