NSU-Bericht prangert schwere Fehler und Defizite an
Erfurt (dpa) - Handwerkliche Patzer, Schlampereien und fehlende Absprachen: Ein Gutachten deckt auf, wie Thüringer Behörden bei der Suche nach dem Jenaer Neonazi-Trio versagt haben. Fehler und Nachlässigkeiten begünstigten nach Ansicht der unabhängigen Kommission zum Neonazi-Trio das Untertauchen der Gruppe.
Das dreiköpfige Gremium kritisierte bei der Vorstellung seines Abschlussberichts am Dienstag vor allem den Verfassungsschutz, monierte aber auch handwerkliche Fehler und Zurückhaltung bei den eigentlich zuständigen Behörden Staatsanwaltschaft und Polizei. Thüringens Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht (CDU) kündigte Konsequenzen an.
Die Kommission unter Vorsitz des ehemaligen Bundesrichters Gerhard Schäfer hatte seit Mitte November rund 20 000 Seiten Akten gesichtet und Dutzende Zeugen zur sogenannten Zwickauer Zelle gehört.
Thüringens Innenminister Jörg Geibert (CDU) sprach von „handwerklichen und strukturellen Defiziten“ sowie von fehlenden Abstimmungen. Polizei, Verfassungsschutz und Justiz hätten nicht so professionell gearbeitet, wie es zu erwarten gewesen sei. Der Bericht entkräfte aber Spekulationen, dass die aus Jena stammenden Rechtsterroristen Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe staatlich gedeckt worden seien. Kommissionsvorsitzender Schäfer sagte, er habe auch in den geheimsten Unterlagen des Verfassungsschutzes keinen Hinweis gefunden, dass einer der drei als Informant abgeschöpft worden sei.
Das Trio war 1998 untergetaucht und hatte zuletzt in Zwickau gelebt. Als „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) sollen Böhnhardt, Mundlos und womöglich auch Zschäpe in den Jahren danach neun Männer türkischer und griechischer Herkunft sowie eine Polizistin ermordet haben. Am 4. November 2011 verübten Böhnhardt und Mundlos in Eisenach einen Banküberfall. Kurz vor ihrer Festnahme erschoss Mundlos seinen Komplizen und tötete sich dann selbst.
Ministerpräsidentin Lieberknecht erklärte, das Gutachten lege sowohl individuelles als auch strukturelles Versagen schonungslos offen. „Es muss organisatorische Konsequenzen geben und weitere Änderungen in den Strukturen und Abläufen.“ Innenminister Geibert bezeichnete aber personelle Konsequenzen als unwahrscheinlich, schon weil ein großer Teil der Betroffenen nicht mehr im Dienst sei.
Die Experten um Schäfer stellten dem Thüringer Verfassungsschutz insgesamt ein schlechtes Zeugnis aus. Dessen Arbeit sei ein „sehr belastendes Kapitel“, sagte Schäfer. Zwar habe das Amt aus seinen Quellen gute Kenntnisse über das Trio gehabt, diese aber nicht einmal systematisch zusammengestellt. Damit hätte die Behörde aber sofort erkennen können, dass plötzlich die ständigen Hilferufe des Trios nach Geld und Waffen abrissen. Erst die Kommission habe eine Zeitliste mit einer Übersicht der entsprechenden Hinweise erstellt. Die Geldsorgen rissen um die Zeit der ersten Überfälle in Chemnitz ab, wohin das Trio 1998 geflohen war.
Als „schlimme Sache“ bezeichnete Schäfer die Aufforderung der Verfassungsschützer an die Eltern eines der Neonazis, der Behörde wichtige Hinweise nur über Telefonzellen zu geben. Damit hätten sie die Arbeit der gleichzeitig abhörenden Polizei unterlaufen.
Der Verfassungsschutz habe sein Wissen nicht an andere Behörden weitergegeben. „Die Information blieb im Herzen des Verfassungsschutzes“, sagte Schäfer. Die Informationen über Waffen- und Geldbeschaffung wären massive Anhaltspunkte für die Bildung einer terroristischen Vereinigung gewesen. Geibert sprach von „fast chaotischen Zuständen“ in der Behörde.
Auf Seiten der Polizei konstatierten die Experten, dass die sonst sehr erfolgreichen Zielfahnder des Landeskriminalamtes (LKA) nicht in das Beziehungsgeflecht der rechtsextremen Unterstützerszene eindringen konnten. Für so einen Fall hätte es daher eigentlich eine Sonderkommission geben müssen. Es sei auch „nicht nachvollziehbar“, wieso die Spitze des LKA angesichts der anhaltenden Erfolglosigkeit nicht eingegriffen habe.
Zu den handwerklichen Fehlern der Ermittler zählt die Kommission auch die Durchsuchung der Jenaer Bombenwerkstatt Ende Januar 1998. Sie sei schlecht vorbereitet gewesen, so dass sich eine Garage erst zu spät öffnen ließ. Böhnhardt konnte unbehelligt davonfahren, während die Ermittler noch an der letzten Garagen arbeiteten.
Der Bericht des Gremiums ist das erste unabhängige vorliegende Gutachten, das die Ereignisse untersuchte, die zum Entstehen der rechtsextremen Terrorzelle geführt haben.