Lebenslang für Beate Zschäpe? NSU-Prozess vor der Urteilsverkündung

München (dpa) - An diesem Mittwoch werden sich im NSU-Prozess ein letztes Mal alle Augen auf Beate Zschäpe richten - und auf den Vorsitzenden Richter Manfred Götzl.

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Nach mehr als fünf Jahren, nach mehr als 430 Prozesstagen, Hunderten Zeugen, endlosem juristischen Hickhack, nach Tagen mit Tränen im Gerichtssaal und mit bewegenden Opfer-Aussagen wird das Münchner Oberlandesgericht das Urteil verkünden. Die Richter wollen einen juristischen Schlussstrich ziehen unter die Aufarbeitung einer fast durchweg rassistisch motivierten Mord- und Anschlagsserie, die die Republik erschütterte, laut Anklage verübt von einer jahrelang unbehelligt im Untergrund lebenden Neonazi-Zelle: Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe.

Zschäpe ist quasi das Gesicht des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ geworden. Sie ist die Hauptangeklagte in diesem Mammutverfahren, das in die deutschen Geschichtsbücher eingehen wird, schon allein als einer der aufwendigsten Indizienprozesse der vergangenen Jahrzehnte. Ihre beiden Freunde sind tot. Sie nahmen sich am 4. November 2011 nach einem gescheiterten Banküberfall das Leben.

Die Frage aller Fragen ist nun: Wird Zschäpe als Mittäterin an allen zehn Morden und den Anschlägen verurteilt, wie dies die Bundesanwaltschaft fordert? Also genau so, als habe die heute 43-Jährige selbst den Abzug der „Ceska“-Pistole gedrückt, mit der der NSU mordend durch die Republik zog, Frauen den Ehemann, Kindern den Vater, Eltern den Sohn nahm? Die Strafe dafür wäre dann wohl lebenslange Haft, womöglich mit anschließender Sicherungsverwahrung.

Oder wird Zschäpe vom Vorwurf der Mittäterschaft freigesprochen, vielleicht auch vom minderschweren Vorwurf der Beihilfe? Dann könnte sie lediglich wegen der Taten verurteilt werden, die sie in ihren schriftlichen Einlassungen zugegeben hat: Von den Banküberfällen ihrer Freunde hat sie nach eigenen Angaben gewusst und diese gutgeheißen - damit finanzierte das Trio das Leben im Untergrund. Und: Sie steckte am 4. November 2011, nachdem sie vom Tod ihrer Freunde erfahren hatte, die letzte Fluchtwohnung des NSU in Brand.

Ihre beiden Vertrauensanwälte fordern deshalb eine Haftstrafe von unter zehn Jahren. Ihre ursprünglichen Verteidiger wollen die sofortige Freilassung, weil die zu erwartende Strafe mit der mehr als sechsjährigen Untersuchungshaft bereits abgegolten sei.

Tatsächlich gibt es bis heute keinen Beweis, dass Zschäpe an einem der Tatorte war. Wie aber sollte sie dann als Mörderin verurteilt werden können, wie es die Anklage fordert? Bundesanwalt Herbert Diemer begründete das so: „Sie hat alles gewusst, alles mitgetragen und auf ihre eigene Art mitgesteuert und mitbewirkt.“ Zschäpes Altverteidiger Wolfgang Heer dagegen betonte: „Frau Zschäpe ist keine Terroristin, sie ist keine Mörderin und keine Attentäterin.“ Und Zschäpe selbst sagte zum Schluss: „Bitte verurteilen Sie mich nicht stellvertretend für etwas, was ich weder gewollt noch getan habe.“

Tatsächlich hat der Bundesgerichtshof (BGH) die Hürden für eine Verurteilung wegen Mittäterschaft hoch gelegt. Genüsslich zitierten Zschäpes Verteidiger BGH-Entscheidungen, mit denen Verurteilungen wegen Mittäterschaft in anderen Fällen kassiert wurden. Götzl und seine Kollegen dürften die BGH-Rechtsprechung längst sehr genau kennen. Zumal es oft der dritte BGH-Senat war, der so entschied - genau der, der auch für eine Revision in Sachen NSU zuständig wäre.

Auch bei den vier Mitangeklagten liegen die Forderungen der Anklage und der Verteidiger teils weitestmöglich auseinander: Für den mutmaßlichen Waffenbeschaffer Ralf Wohlleben beispielsweise will die Bundesanwaltschaft zwölf Jahre Haft, die Verteidigung Freispruch.

Seit Mai 2013 hörte das Gericht Hunderte Zeugen, ging den einzelnen Indizien mit einer teils extremen Akribie nach, trug diese nach und nach wie kleinste Mosaiksteine zusammen. Lässt das den Schluss zu, dass Götzl - schon in der Vergangenheit für harte Urteile bekannt - am Ende auch diesmal, gut begründet, ein hartes Urteil sprechen will?

Viele Fragen sind dennoch offen geblieben, etwa die: Bestand der NSU wirklich nur aus drei Personen? Gab es nicht viel mehr Unterstützer in der rechtsextremen Szene, die heute noch immer unbekannt sind?

Elif Kubasik, die Frau des vom NSU ermordeten Kioskbetreibers Mehmet Kubasik, zog in ihrem Plädoyer ein düsteres Fazit. „Hier im Prozess sind meine Fragen nicht beantwortet worden“, sagte sie bitter.

Doch auch wenn viele Fragen offen bleiben: Die erstinstanzliche juristische Aufarbeitung der NSU-Taten endet nun. Aber wie? Sogar in Kreisen der Bundesanwaltschaft ist zu hören: Wir wissen nicht, ob unsere Anklage durchkommt. Und wenn: Dann dürfte das Urteil ziemlich sicher zur Revision beim Bundesgerichtshof in Karlsruhe landen.