Opposition wirft Regierung Atomtrickserei vor
Berlin (dpa) - Die Opposition wirft der Bundesregierung nach der Überprüfung der 17 deutschen Atomkraftwerke Trickserei beim Atomausstieg vor.
SPD-Chef Sigmar Gabriel kritisierte am Mittwoch, dass Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) bisher nur das Aus für mindestens vier Meiler angedeutet hat, weil diese keinerlei Schutz gegen Flugzeugabstürze haben. Wie schon bei der Laufzeitverlängerung um bis zu 14 Jahre soll die Atomwirtschaft einen Sicherheitsrabatt bekommen, vermutete Gabriel im „Handelsblatt online“.
SPD, Linke und Grüne fordern das sofortige Aus für die sieben ältesten Anlagen sowie für den seit 2007 fast ununterbrochen stillstehenden Meiler in Krümmel. Röttgen hatte am Dienstag bei der Vorstellung des AKW-Prüfberichts der Reaktorsicherheitskommission (RSK) die Anlagen Biblis A und B, Brunsbüttel und Philippsburg 1 genannt. Diese hätten „keine nachgewiesene Sicherheitsauslegung“ für Flugzeugabstürze.
Zugleich hatte er betont, dass insgesamt alle sieben vor 1980 ans Netz gegangenen Meiler über einen mangelhaften Schutz gegen Abstürze verfügten. Damit könnte vier, aber auch sieben Atomkraftwerken das Aus drohen. Die Vorsitzende des Bundestags-Umweltausschusses, Eva Bulling-Schröter (Linke), sagte dennoch: „Die überaus fragwürdigen Schnell-Stresstests dienen Umweltminister Norbert Röttgen als Vorwand, um nun doch nur vier Altmeiler abzuschalten“.
Kanzlerin Angela Merkel (CDU) will zusammen mit Industrie, Gewerkschaften und Ökoenergie-Verbänden den Netzausbau vorantreiben und den Grünstrom-Anteil erhöhen. Merkel traf sich dazu am Mittwoch mit einer Vielzahl von Verbandsvertretern im Kanzleramt.
Trotz des geplanten Atomausstiegs will die Regierung aber ihr Ziel, bis 2020 aus Ökoenergien 35 Prozent des Stroms zu produzieren, nicht erhöhen. Das geht aus dem Entwurf für das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) vor, der der Deutschen Presse-Agentur vorliegt. Das 35-Prozent-Ziel war auch schon vor der Laufzeitverlängerung verankert worden. Bis 2030 soll der Anteil auf 50 Prozent steigen.
Der Präsident des Bundesverbands Erneuerbare Energien, Dietmar Schütz, sagte: „Man kommt nicht umhin, die viel beschworene Stärkung der Erneuerbaren als reine Lippenbekenntnisse zu werten.“ SPD-Fraktionsmanager Thomas Oppermann sagte: „Schwarz-Gelb tritt beim Ausbau jetzt wieder auf die Bremse.“
Insgesamt will die Regierung erreichen, dass die Ökoenergien - derzeit vom Verbraucher mit 3,5 Cent pro Kilowattstunde bezuschusst - schneller marktfähig werden. Bei der Förderung erhöht die Regierung die Vergütung für Windkraft auf See, die oft von großen Unternehmen betrieben wird. Die Förderung für Energie aus Windrädern an Land und aus Biomasse wird gekürzt. Greenpeace kritisiert eine Bevorzugung der Stromkonzerne, die verstärkt in Ökoenergien investieren wollen.
Am 6. Juni will die Regierung das neue EEG und das Atompaket beschließen. Die Reaktorsicherheitskommission bescheinigt den deutschen Anlagen einen hohen Robustheitsgrad, aber auch große Schwachstellen - etwa bei Terrorattacken mit Flugzeugen. Röttgen betonte, ein „Hals über Kopf“-Ausstieg sei demnach unnötig. Selbst aus der Kommission gab es Kritik, weil das hastige Verfahren eine eingehende Prüfung nicht erlaube.
Der CDU-Wirtschaftsrat strebt abgestimmte Volksentscheide über den Atomausstieg in den Ländern an, wie Wirtschaftsrat-Sprecher Erwin Lamberts der „Passauer Neuen Presse“ sagte. Nach langer Debatte peilt die CSU nun 2022 für den Atomausstieg an. Ministerpräsident Horst Seehofer favorisierte bisher eine Festlegung auf 2020. Die CSU-Fraktion hatte jedoch Bedenken. CDU und FDP legen sich bisher nicht auf ein Enddatum für den endgültigen Atomausstieg fest.