Linke mit altvertrauten Konflikten Parteitag der Linken: Zwischen Regieren und Opponieren
Hannover. Am Ende bringt Sahra Wagenknecht den Saal zum Kochen. Die Parteitagsregie hat die Redebeiträge der Führungsmannschaft locker über den gesamten Zeitplan verteilt — und sich die Frontfrau der ganz Linken unter den Linken als finalen Höhepunkt aufgehoben.
Die Botschaft von Wagenknecht geht ungefähr so: Wir würden ja gern mitregieren, wären SPD und Grüne so wie wir. Sind sie aber nicht. Alle hätten sie "neoliberale Politik gemacht“, ruft die Spitzenkandidatin. Man werde nicht dem „Mainstream“ hinterherlaufen und das Spektrum nur um eine Variante erweitern, „die sich dann Rot-Rot-Grün nennt“. Da sei „gute Opposition immer noch besser als schlechte Regierungspolitik“. Im Saal wird Wagenknecht dafür euphorisch gefeiert. Allerdings gibt es auch viele versteinerte Gesichter.
Drei Tage lang kämpfen sich die Delegierten zum Teil bis tief in die Nacht durch einen wahren Antragsdschungel, bevor sie das Wahlprogramm der Partei am Sonntagnachmittag endgültig beschließen. Und über allem schwebt mal wieder die alte Grundsatzfrage „Regieren oder Opponieren“. Co-Spitzenkandidat Dietmar Bartsch unterscheidet sich da deutlich von Wagenknecht: „Natürlich sind wir bereit, Regierungsverantwortung zu übernehmen“, sagt der Realo-Promi. Dafür gehe man mit einer eigenen Programmatik in den Wahlkampf. Auch die Vorsitzende Katja Kipping mahnt, sich nicht „auf die Oppositionsrolle zu beschränken“. Und Gregor Gysi, Altstar der Partei und mittlerweile Chef der Europäischen Linken, erklärt unumwunden: „In der Regierung können wir wirksamer und schneller etwas tun“. Wer nicht kompromissfähig sei, der sei auch nicht demokratiefähig. An der Linken dürfe die rot-rot-grüne Option „nicht scheitern“, so Gysi.
Gleich zum Auftakt des Parteitages gibt es eine Generalaussprache. Und schon da zeigt sich, dass viele Delegierte so wie Wagenknecht ticken. Vielleicht steht auch Fortuna mit den Fundamentlisten im Bunde. Denn die gelosten Redebeiträge sind überwiegend von einem Generalverriss der SPD geprägt, weshalb sich natürlich auch ein gemeinsames Regieren verbietet. „Wir sollten uns nicht an diesen komischen Schulz binden“, sagte der Altlinke Wolfgang Gehrke. „Rot-Rot-Grün ist mausetot. Und das ist gut so“, ruft ein anderer Redner seltsam triumphierend. Sicher wird derlei pure Abgrenzung auch wieder durch jüngste Meinungsäußerungen aus der SPD befeuert. Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil und Fraktionschef Thomas Oppermann machen am Wochenende in Interviews unisono deutlich, dass die Kluft zwischen SPD und Linken doch viel zu tief sei, um ins Regierungsgeschäft zu kommen.
Die Mehrheit des Parteitages entscheidet sich dennoch dafür, die Brücken zu SPD und Grünen nicht gänzlich zu zerstören. Davon zeugen wichtige Passagen im Wahlprogramm. Die Fundis drängen auf eine Absage an die EU („neoliberales kapitalistisches Konstrukt“). Doch die Anträge laufen ins Leere. Auch die Forderung, Vermietern mit Enteignung ihrer Immobilien zu drohen, wird verworfen. Und die erneut bekräftigte Abschaffung der Nato versteht sich eher als Willensbekundung denn als rote Haltlinie gegen eine theoretisch mögliche Regierungsbeteiligung. Die Notwendigkeit einer Vermögensteuer steht für die Linke allerdings außer Frage. Genauso wie die Abschaffung der Sanktionen gegen Hartz-IV-Empfänger. Für die Partei verbieten sich auch „Kampfeinsätze“ der Bundeswehr, wobei dieser Begriff interpretierbar ist. Vorstöße des radikalen Flügels, sich deshalb pauschal gegen „Auslandeinsätze“ auszusprechen, werden nach hitziger Debatte aber ebenfalls ausgebremst. Zu den weiteren Kernpunkten gehören eine allgemeine Mindestsicherung von 1050 Euro, ein Mindestlohn von zwölf Euro, die Absenkung des Renteneintritts auf 60 Jahre, eine Anhebung des Rentenniveaus von 48 auf 53 Prozent sowie eine Reichensteuer von 75 Prozent auf alle Einkommen oberhalb einer Million Euro.
Die allermeisten dieser Förderungen würden einem Praxistest wohl kaum standhalten halten. Das ahnt man auch bei den Hardlinern. Er sehe nur „den Weg in die Opposition“, sagt ein junger Delegierter. Beim Redeauftritt von Sahra Wagenknecht applaudiert er besonders heftig.