Analyse Personalnot in Kliniken und Altenheimen: „Der Grundgedanke der Pflege ist vernichtet“
Verdi legt neue Zahlen zur Personalnot in Krankenhäusern und Altenheimen vor. Die Gewerkschaft ruft zur Demo am Mittwoch auf.
Düsseldorf. Der Mangel an Pflegekräften gefährdet immer häufiger eine angemessene Versorgung in Kliniken und Altenheimen. Schon seit Jahren ist die schlechte Personalausstattung Dauerthema. Ende Mai einigte sich die große Koalition auf ein Sofortprogramm gegen den Pflegenotstand. Rund 13.000 zusätzliche Stellen in Pflegeheimen sollen aus Mitteln der gesetzlichen Krankenversicherung finanziert werden. Gemessen am personellen Engpass sei das aber nur ein Tropfen auf den heißen Stein, beklagt die Gewerkschaft Verdi.
Nach ihren Berechnungen fehlen in den Kliniken rund 80.000 Krankenpfleger und mindestens 63 000 Stellen in der stationären Altenpflege. Um alle Schichten in den Krankenhäusern ausreichend besetzen zu können, fordert Verdi, dass mindestens 22 Prozent mehr Stellen geschaffen werden.
Die Gewerkschaft habe sich immer wieder, aber bisher eben ohne ausreichenden Erfolg, für Entlastungen eingesetzt. Die drastische Unterbesetzung gehe sowohl zu Lasten der Patienten als auch des Personals, kritisierte Verdi-Vorstandsmitglied Sylvia Bühler. Man wolle daher vor der morgigen Gesundheitsministerkonferenz der Länder in Düsseldorf erneut für das Thema trommeln, da sich die Situation immer weiter verschärfe. „Symbol-Politik werden wir nicht mehr akzeptieren.“
Bühler stellte am Montag einen „Belastungscheck“ vor, an dem sich von Anfang März bis Ende Mai in 166 Krankenhäusern rund 13.000 Beschäftigte beteiligt haben. Die Pflegekräfte wurden danach befragt, welche Schichtbesetzung sie für notwendig halten, um Patienten gut versorgen zu können. Diese Soll-Dienstpläne wurden dann mit dem vorhandenen Personal abgeglichen. Auf dieser Basis wurde das Stellendefizit hochgerechnet.
„Die Personaldecke ist viel zu dünn. Theoretisch betrachtet, müssten die Krankenhäuser am 25. Juni schließen, weil das Personal aufgebraucht ist“, spitzt Bühler die Problematik zu. Im Vergleich zur letzten Verdi-Erhebung 2013 habe sich das Defizit um weitere 10 000 Stellen verschlechtert, berichtete die Gesundheitsexpertin. Allein in NRW fehlen demnach rund 18.000 Pfleger. Die Untersuchung sei zwar nicht wissenschaftlich untermauert, aber die Zahlen sprechen für sich, sagt Bühler: „Die Befragten haben keine Luftschlösser geplant.“
Eine, die die Realität jeden Tag vor Augen hat und weiß, wovon sie spricht, ist Esther Hasenbeck, Krankenpflegerin im Uniklinikum Essen. Im Nachtdienst etwa seien auf ihrer Station nur zwei Pfleger für 36 Patienten zuständig. Die Verantwortung, unter diesen Bedingungen für jeden Einzelnen Tabletten und Infusionen bereitzustellen und jeden komplett zu versorgen, sei riesig. Jeden Tag stoße sie an ihre Grenzen und gehe abends manchmal weinend nach Hause. „Da passieren Fehler auf Kosten von Menschen. Wir bemühen uns jeden Tag, dass das nicht passiert“, berichtete die 32-Jährige aus zehn Berufsjahren. „Sparen tun wir an unserer eigenen Gesundheit“, sagte sie. „Natürlich leidet der Patient auch. Aber oft habe ich einfach keine Zeit, etwas zu trinken, auf Toilette zu gehen oder in ein Brot zu beißen“, schilderte sie ihre Tage auf der Station. „Der Grundgedanke der Pflege ist vernichtet. Das Menschliche bleibt auf der Strecke. Würdevoll ist nichts mehr an unserer Versorgung. Wir spielen jeden Tag Risiko.“