Prozess: „Herr Demjanjuk, brechen Sie Ihr Schweigen“
München (dpa) - Anwälte von Holocaust-Überlebenden und Opfer-Angehörigen haben vor dem Landgericht München II eine Verurteilung des mutmaßlichen KZ-Wachmanns John Demjanjuk gefordert. Zugleich riefen sie den 90-Jährigen dazu auf, die Wahrheit über seine Anwesenheit im Vernichtungslager Sobibor zu sagen.
Dort soll er 1943 bei der Ermordung von mindestens 27 900 Juden geholfen haben. „Herr Demjanjuk, nutzten Sie die letzte Chance und brechen Sie Ihr Schweigen“, forderte der Anwalt eines Opfer-Angehörigen, Hardy Langer. Der Vertreter von sechs anderen Nebenklägern, Rolf Kleidermann, sagte: „Nicht Rache ist es, was wir einfordern, sondern Gerechtigkeit im Namen der Ermordeten.“ Er verlas Erklärungen von zwei Angehörigen.
„Die Verbrechen gegen die Menschlichkeit, an denen John Demjanjuk beteiligt war, haben jeden Tag meines Lebens durchdrungen“, heißt es in dem Papier der in den USA lebenden Aleida Keesing. Ihre Eltern, Geschwister, Nichten und Neffen starben in Sobibor. „Meine Eltern wurden in Sobibor gemein und bestialisch ermordet“, erklärte Ralph Erman aus den USA. „Wir müssen dafür sorgen, dass alle noch lebenden Täter dieser entsetzlichen Verbrechen und auch solche, die nur eine kleine Verantwortung hatten, sich der Gerechtigkeit stellen müssen.“
Nach rund 85 Verhandlungstagen und 16 Monaten Verfahrensdauer stehe fest, dass Demjanjuk 1943 in Sobibor gewesen sei, argumentierten die Anwälte. Der gebürtige Ukrainer habe das Lager bewacht und jüdische Häftlinge an der Flucht gehindert. Damit habe er Beihilfe zum Mord an den Juden geleistet, die während seiner Zeit getötet wurden.
Langer betonte, Demjanjuks Schuld ergebe sich nicht nur aus seiner Anwesenheit in Sobibor. Der inzwischen gestorbene Wachmann Ignat Daniltschenko habe ausgesagt, Demjanjuk habe im Lager mit einer Waffe ausgerüstet Juden zu den Gaskammern begleitet. Das sei seine tägliche Arbeit gewesen. „Demjanjuk, wie alle Wachmänner im Lager, nahm an (der) Massenvernichtung von Juden teil“, zitierte Anwalt Langer Aussagen Daniltschenkos von 1979. „Demjanjuk begleitete Menschen, bis sie den Vergasungswagen (Anmerkung: Gaskammern) erreichten zwecks Vermeidung einer Störung der "Ordnung" durch Verurteilte, in der sie zur Vernichtung geleitet wurden.“
Kleidermann und Langer forderten kein konkretes Strafmaß. Langer sagte, dass für Beihilfe zu einem Mord eine ebenso hohe Strafe stehe wie für Beihilfe in tausenden Fällen. Dies zeige, wie „unbeholfen das Strafrecht gegenüber Massenmorden“ sei. „Insofern ist der Schuldspruch wichtig, aber eine gerechte Strafe kann es nicht geben.“ Der Anwalt eines niederländischen Nebenklägers, Arno Laurent, schloss sich Ausführungen von Staatsanwalt Hans-Joachim Lutz an, der sechs Jahre Haft beantragt hatte. Demjanjuk verfolgte die Plädoyers wie an den Verhandlungstagen zuvor scheinbar unbeteiligt auf seinem Rollbett, ein Käppi schief auf dem Kopf und die Augen von einer Sonnenbrille verdeckt.