Atom-Kehrtwende belastet Merkel und die Union
Berlin (dpa) - Nach der Atom-Kehrtwende müssen Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und die von ihr geführte Union vor dem wichtigen Wahlsonntag deutliche Einbußen in Umfragen verkraften. CDU/CSU verlieren im Wahltrend von „Stern“ und RTL im Vergleich zur Vorwoche bundesweit 3 Punkte auf 33 Prozent.
Die Grünen legen zu. Meinungsforscher sagen, dass fast drei Viertel (71 Prozent) der Befragten das von Merkel nach der Katastrophe in Japan angeordnete dreimonatige Abschalten der sieben ältesten deutschen Atommeiler für reine Wahltaktik halten.
Merkel bekräftigte am Mittwoch in Frankfurt am Main: „Je schneller der Ausstieg aus der Kernenergie möglich ist, umso besser. Aber es muss ein Ausstieg mit Augenmaß sein.“ Bayerns Umweltminister Markus Söder (CSU) will die sieben Meiler endgültig aus dem Verkehr ziehen. Er sagte dem Magazin „Stern“: „Es würde uns als politisches Signal gut tun, wenn die älteren Reaktoren nicht wieder ans Netz gehen.“ Unterstützung erhielt Söder vom saarländischen Ministerpräsidenten Peter Müller (CDU), der von einer Zäsur sprach. Zu Demonstrationen gegen die schwarz-gelbe Atompolitik werden am Samstag in Berlin, Hamburg, München und Köln rund 100 000 Menschen erwartet.
Die Bundesnetzagentur will drohende „Blackouts“ im Stromnetz verhindern, wenn Mitte Mai wegen Wartungsarbeiten bis zu 13 der 17 AKW gleichzeitig stillstehen. Netzagentur-Chef Matthias Kurth sagte der dpa: „Weder die Übertragungsnetzbetreiber noch die Stromerzeuger werden natürlich eine Situation sehenden Auges herbeiführen, die zu Problemen im Netz führt. Das muss auf jeden Fall ausgeschlossen sein.“ Notfalls könnten einzelne AKW-Revisionstermine noch verschoben werden. Auch der Netzbetreiber 50 Hertz Transmission wies auf mögliche Probleme im Stromnetz in diesem Frühjahr hin.
Kurz vor den Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz am Sonntag liegt im Forsa-Wahltrend des „Stern“ Rot-Grün bundesweit mit 45 Prozent 7 Punkte vor Schwarz-Gelb (38 Prozent). Forsa-Chef Manfred Güllner sagte, der Union habe das Atom-Moratorium klar geschadet. Deren Stammwähler, die eher zu den Atom-Befürwortern zählten, seien über die abrupte Kehrtwende irritiert. „Sie sagen, in Deutschland habe sich doch nichts geändert.“ Auch Merkels Image hat gelitten. Nur noch jeder Zweite schätze sie als glaubwürdig ein - vor anderthalb Jahren waren es noch 68 Prozent.
Altkanzler Gerhard Schröder (SPD) kritisierte in der „Zeit“, dass die Regierung nur ein politisches Moratorium verkündet habe, aber kein entsprechendes Gesetz, um die Verlängerung der Laufzeiten sofort zu korrigieren. „So, wie es jetzt gemacht wurde, ist das keine gute Politik. Das schafft weder Vertrauen noch Investitionssicherheit.“
In einer Aktuellen Stunden griffen sich die Koalition und die Opposition am Mittwochabend im Bundestag scharf an. Der FDP-Umweltpolitiker Michael Kauch sagte, auch Rot-Grün wäre erst in den nächsten zehn Jahren aus der Kernenergie ausgestiegen. Die Parlamentarische Umwelt-Staatssekretärin Ursula Heinen-Esser (CDU) betonte, die unabhängige Reaktor-Sicherheitskommission werde nun gemeinsam mit den Ländern eine Überprüfung aller Kernkraftwerke auf den Weg bringen. Durch die Katastrophe in Japan gelte es, ganz neue Dinge zu berücksichtigen.
Der SPD-Politiker Matthias Miersch betonte, die Mängel bei den ältesten AKW seien vor der Laufzeitverlängerung schon bekannt gewesen. Oliver Krischer von den Grünen warf der Regierung ein „Kleben an den Atomkonzernen“ vor, weil sie bei der anstehenden AKW-Überprüfung ein veraltetes Regelwerk anwenden und so die Energiekonzerne vor zu teuren Nachrüstungen verschonen wolle.
Unterdessen will die Regierung nach der Katastrophe in Japan die deutsche Milliarden-Exportbürgschaft für den Bau des brasilianischen AKW Angra 3 prüfen. Damit bestätigte das Wirtschaftsministerium einen „Focus“-Bericht. Federführend bei dem Projekt ist der französische Atomkonzern Areva, an dem Siemens beteiligt ist. Angra 3 ist umstritten, weil der Bau in einem erdbebengefährdeten Gebiet liegt. Die Hermes-Bürgschaft umfasst rund 1,3 Milliarden Euro.