AKW-Überprüfung strittig - 13 Meiler sollen vom Netz
Berlin/Brüssel (dpa) - Die Bundesregierung gerät bei der Überprüfung der Atomkraftwerke angesichts ungeklärter Details unter Druck.
So ist weiterhin unklar, wie der Fahrplan bis Mitte Juni aussehen soll und was überprüft wird - zumal viele Mängel der Regierung schon vor der AKW-Laufzeitverlängerung bekannt waren. „Wir können nur die Fragen stellen“, betonte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) am Montag in Berlin. Am Abend forderten nach Angaben der Intiative „.ausgestrahlt“ 141 000 Menschen bei Mahnwachen in mehr als 720 Orten eine raschen Atomausstieg.
Man werde sich auf das konzentrieren, „was sich an neuen Fragestellungen aus Japan ergibt“, sagte die Sprecherin von Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) mit Blick auf die anstehenden Sicherheits-Checks. Sie nannte zum Beispiel die Notstromversorgung und die Kühlsysteme. Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) warnte beim Treffen der EU-Energieminister in Brüssel vor übertriebenen Erwartungen an einen raschen Atomausstieg: „Ein sofortiges Abschalten geht nicht.“ FDP-Generalsekretär Christian Lindner sagte, man müsse auch die Wirtschaftlichkeit im Blick haben.
Die Betreiber der 17 Atomkraftwerke wollen während des Moratoriums der Bundesregierung fünf weitere Reaktoren für Revisionen vom Netz nehmen. Einschließlich des Pannenreaktors Krümmel, der abgeschaltet ist, werden im Mai je nach Dauer der Revision bis zu 13 der 17 Atomkraftwerke übergangsweise nicht am Netz sein. RWE-Sprecherin Annett Urbaczka betonte: „Die Sicherheit unserer Anlagen hat in jedem Fall Vorrang. Anstehende Kraftwerksrevisionen werden nicht verschoben. Allerdings bedeutet das für das Stromnetz in den kommenden Wochen und Monaten erhebliche Herausforderungen.“
Die Regierung pocht trotz der zwangsweisen Abschaltung der alten Meiler auf die Millionen-Zahlungen der Konzerne für den Fonds zum Ökoenergie-Ausbau. Kanzlerin Merkel trifft sich an diesem Dienstag mit den fünf Ministerpräsidenten, in deren Länder sich Atommeiler befinden, um über einen schnelleren Ökoenergie-Ausbau zu sprechen.
Merkel will zudem noch vor Ostern mit allen 16 Ministerpräsidenten beraten, wie der stockende Netzausbau in Deutschland forciert werden kann. Neue Stromautobahnen sind notwendig, um Strom aus Windparks in der Nordsee zu den Stromverbrauchern in Bayern zu transportieren.
„Es reicht nicht aus, sieben AKW für drei Monate runterzufahren“, sagte der Sprecher von „.ausgestrahlt“, Jochen Stay. Die Teilnehmer der Mahnwachen in ganz Deutschland hätten eine klare Botschaft an Merkel gesandt: „Die Bevölkerung verlangt die tatsächliche Stilllegung der Atomkraftwerke.“ Weitere Proteste seien bereits in Vorbereitung. Am kommenden Samstag wollen sich die Gegner der Atomkraft in den vier größten Städten des Landes - Berlin, Hamburg, München und Köln - zu Großdemonstrationen treffen.
Brüderle sagte, wer schneller umschalten wolle, komme um einen Ausbau der Netze nicht herum. Er legte Eckpunkte für ein Netzausbau-Beschleunigungsgesetz vor. Ein Bundesnetzplan soll den Bedarf erfassen und Schluss machen mit dem Flickenteppich beim Netzausbau. „Wenn wir das straffen, sind Bauzeiten unter fünf Jahren erreichbar“, sagte der Chef der Bundesnetzagentur, Matthias Kurth, der Süddeutschen Zeitung (Dienstag). So könne der Ausbau des Stromnetzes auch mit dem der Windenergie Schritt halten.
Die Deutsche Umwelthilfe betonte, eine Überprüfung gerade der ältesten Atomkraftwerke sei überflüssig und in drei Monaten kaum zu schaffen. „Seit Jahren ist zum Beispiel klar, dass die sieben ältesten Atomkraftwerke nicht gegen Flugzeugabstürze gesichert sind“, sagte Bundesgeschäftsführer Rainer Baake in Berlin. Die Regierung will auf Basis des Sicherheits-Checks entschieden, ob die bis Mitte Juni abgeschalteten Meiler wieder angefahren werden dürfen.
Seit dem 11. September 2001 seien Terrorattacken mit Flugzeugen auf AKW kein Restrisiko mehr, sagte Baake, der früher Staatssekretär im Umweltministerium gewesen ist. Er forderte, bei der Überprüfung der neueren Meiler das neue Kerntechnische Regelwerk anzuwenden, das Umweltminister Röttgen immer noch nicht in Kraft gesetzt habe.
Dieses war von Röttgens Vorgängern Jürgen Trittin (Grüne) und Sigmar Gabriel (SPD) erarbeitet worden und sieht schärfere Anforderungen mit womöglich milliardenschweren Nachrüstungen vor. Röttgens Sprecherin betonte, das Kerntechnische Regelwerk sei nicht die Grundlage für die nun anstehende Überprüfung.
Schon vor der Laufzeitverlängerung wusste die Regierung über Sicherheitsrisiken in den ältesten deutschen AKW Bescheid. Das geht aus Unterlagen des Bundesumweltministeriums hervor, die der Deutschen Presse-Agentur vorliegen. Trotzdem verlängerte die Bundesregierung im vergangenen Jahr die Laufzeiten der ältesten AKW um 8, die der nach 1980 ans Netz gegangenen Atomkraftwerke um 14 Jahre.
Experten der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS) kamen in dem Bericht zu dem Ergebnis: „Insbesondere in älteren Anlagen entsprechen einige sicherheitstechnisch wichtige Systeme nicht in allen Punkten dem Stand von Wissenschaft und Technik.“
Für einen raschen Atomausstieg ist nach Meinung des Bundesverbands Erneuerbare Energie ein Gesetzespaket zur Beschleunigung des Ökoenergie-Ausbaus notwendig. Auch ein Modernisierungsprogramm für Radaranlagen sei wichtig. Denn veraltete Radartechnik werde von der Bundeswehr als Grund gegen den Bau moderner Windräder angeführt.