Rätselraten um Brennelemente aus Jülich
Düsseldorf (dpa) - Rätselraten um eine mögliche Atompanne in Nordrhein-Westfalen: Die Düsseldorfer Landesregierung kann nicht sagen, wo 2285 radioaktive Brennelementekugeln aus dem 1988 stillgelegten Forschungsreaktor in Jülich geblieben sind.
Nach Angaben des Forschungszentrums vom Sonntagabend sollen die vermissten Kugeln sich in einem Zwischenlager auf dem Gelände in Jülich befinden.
Landesumweltminister Johannes Remmel (Grüne) hält den Vorgang für „absolut alarmierend“. Es handele sich nicht um „Kinderspielzeug“ sondern um „möglicherweise um hochradioaktiv belasteten Atommüll, der Umwelt und Bevölkerung schädigen kann“, sagte er in Düsseldorf.
Das Problem der vermissten Brennelementkugeln war durch eine Anfrage der Grünen an NRW-Wissenschaftsministerin Svenja Schulze (SPD) bekanntgeworden. Ein Teil der tennisballgroßen Brennelementekugeln sei „allem Anschein nach“ im früheren niedersächsischen Forschungsbergwerk Asse eingelagert wurde, schreibt Schulze in ihrer Antwort, über die auch das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ berichtet. In der Asse durften nur schwach und mittelradioaktive Abfälle gelagert werden - keine Brennelemente.
Das für die Asse seit 2009 zuständige Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) in Salzgitter zeigte sich von Schulzes Annahme überrascht. Aus den Unterlagen des alten Asse-Betreibers, dem Helmholtz Zentrum München, gehe nicht hervor, dass die jetzt vermissten Kugeln in dem Bergwerk bei Wolfenbüttel lagern, sagte ein Sprecher. Das niedersächsische Umweltministerium will die NRW-Landesregierung bitten, „unverzüglich mitzuteilen“, welche konkreten Anhaltspunkte sie für die Vermutung hat, die Brennelementekugeln könnten in der Asse sein, sagte eine Sprecherin in Hannover.
Schulze forderte das Forschungszentrum und die Arbeitsgemeinschaft Versuchsreaktor auf, „den Verbleib der Kugeln lückenlos zu dokumentieren“. Für ihre Antwort auf die Kleine Anfrage der Grünen habe nicht der gesamte Zeitraum seit der Inbetriebnahme 1967 hinreichend recherchiert und dokumentiert werden können. „Hier muss so schnell wie möglich nachgearbeitet werden.“ Insgesamt waren in Jülich zwischen 1967 und 1988 rund 290 000 Brennelementekugeln eingesetzt worden.
Die fraglichen Kugeln befänden sich noch in dem Reaktorbehälter oder seien „lagerfähig einzementiert“, sagte die Sprecherin des Forschungszentrums, Anne Rother, den Zeitungen der WAZ-Mediengruppe (Montag). Bei den einzementierten Brennelementen handele es sich im Wesentlichen um Kugeln, die während der Betriebszeit des Versuchsreaktors zerbrochen seien. Das sei der Landesregierung bekannt und werde von der europäischen Atomgemeinschaft Euratom regelmäßig kontrolliert.
Die NRW-Grünen sprachen von einem Skandal. Möglicherweise seien die Kugeln „illegal und falsch deklariert in der Asse entsorgt worden“ und dort jetzt ein wesentlicher Teil des milliardenschweren Problems in dem Endlager, sagte der Dürener Bundestagsabgeordnete Oliver Krischer. Der grüne Landtagsabgeordnete Hans Christian Markert sagte dem „Spiegel“, Jülich sei „ein erschreckendes Beispiel, wie lax mit radioaktiven Stoffen hier umgegangen wurde“. Er hat ausgerechnet, dass in den verschwundenen Kugeln etwa 2,2 Kilogramm Uran 235 und 23 Kilogramm Thorium 232 stecken.