Regierung will Bürger für Organspende gewinnen
Berlin (dpa) - Nach dem Durchbruch bei der Organspende werben Regierung und Opposition für ein aktives Ja möglichst vieler Menschen zu einer Spende nach dem Tod.
Das soll die Zahl von täglich im Schnitt drei Menschen drücken, die in Deutschland auf der Warteliste für ein Spenderorgan stehen und sterben. „Jeder, der sich für eine Organspende entscheidet, bürdet diese Entscheidung womöglich nicht seinen Angehörigen auf. Es ist besser, sich selbst zu Lebzeiten zu entscheiden“, sagte Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) den „Ruhr Nachrichten“ (Freitag).
Kritiker halten die Reform, die nun nach mehr als 15 Jahren Debatte greifbar nah ist, für unzureichend. Fraktionschefs und Fachpolitiker von Koalition und Opposition sowie Bahr hatten sich am Donnerstagabend geeinigt. Derzeit hoffen rund 12 000 Menschen auf ein Spenderorgan, die meisten vergebens. „Jeder, den wir von dieser Warteliste herunterbekommen, ist ein Erfolg“, sagte Bahrs Sprecher in Berlin. Wie stark die Zahl gesenkt werden könne, sei nicht zu beziffern. Rund 1000 Menschen von der Liste sterben pro Jahr.
„Nachdruck darf sein - Zwang darf nicht sein“, betonte SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier, der durch seine Nierenspende an seine Frau die Debatte insgesamt vorangetrieben hatte. „Wir wollen penetranter dafür werben, dass sich Menschen für Organspende entscheiden“, sagte CDU-Gesundheitsexperte Jens Spahn in der ARD.
Die gesetzlichen und privaten Krankenkassen sollen jetzt verpflichtet werden, ihre Mitglieder anzuschreiben. In dem Brief sollen Informationen sowie ein Organspendeausweis enthalten sein. Auf diesem bereits heute existierenden Ausweis kann man ankreuzen, ob man nach dem Tod spenden will, ob man dies nicht will oder ob man nur bestimmte Organe spenden will. Man soll den Brief auch wegwerfen können. „Wir hoffen, dass sich die Zahl der Organspender signifikant erhöht“, sagte Bahrs Sprecher.
Die Aufforderung der Kassen soll möglichst mit dem Versand der elektronischen Gesundheitskarte stattfinden. „10 Prozent der Versicherten haben die elektronische Gesundheitskarte bekommen, weitere 60 Prozent bekommen sie in diesem Jahr“, so der Bahr-Sprecher.
Wenn dies technisch möglich ist, sollen die Versicherten ihre Spendebereitschaft auch auf der Karte eintragen können. Frühestens ab 2014 wird dies laut Ministerium möglich sein. Die Menschen können die Bereitschaft aber auch dann weiter auf Papier erklären. Alle zwei Jahre soll die Befragung erneut bundesweit starten.
Die Kassen sollen nach entsprechenden Bedenken unter anderem der Grünen aber kein Recht erhalten, die Information selbst auf die Karte zu schreiben. Sie sollen somit den Willen der Patienten in dieser ethisch heiklen Frage selbst nicht kennen. „Es wird kein Schreibrecht der Kassen geben“, sagte der Bahr-Sprecher. „Wenn jemand Hilfe braucht, dann kann die Kasse ihn unterstützen, aber die Eintragung kann nur der Versicherte selbst machen.“
Da sich die Verpflichtung der Kassen zum Anschreiben nur auf deren Mitglieder bezieht, müssen die mitversicherten Familienangehörigen selbst keine Post bekommen. Die Kassen können etwa Ehefrauen und Jugendliche dann aber aus freien Stücken auch anschreiben, hieß es im Ministerium weiter. Ab 16 Jahren kann man sich für eine Organspende entscheiden. Dagegen entscheiden kann man sich bereits ab 14. Die Entscheidung kann man jederzeit anders fällen. Bei diesen Regelungen soll es voraussichtlich bleiben.
„Es geht darum, dass die Debatte in den Familien angestoßen wird“, sagte Albrecht. Der entsprechende Gruppenantrag aller Fraktionen werde jetzt vier Wochen im Umlauf sein und Ende März offiziell in den Bundestag eingebracht werden. Parallel dazu solle das gesonderte Transplantationsgesetz im Parlament beraten und beschlossen werden.
„Die Änderungen sehen unter anderem Transplantationsbeauftragte in den Krankenhäusern vor - verpflichtend“, sagte Bahr-Sprecher Christian Albrecht. Heute gibt es auch Kliniken, in denen sich niemand gesondert um das Thema kümmert. Die Kliniken sollen nun generell Hirntote für eine mögliche Organentnahme identifizieren, die Bereitschaft der Betroffenen abklären, mit den Angehörigen beraten, die Operationssäle bereithalten und die entnommenen Organe weiterleiten. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft sicherte eine Umsetzung zu. Albrecht deutete die Hoffnung an, dass sämtliche Neuregelungen noch vor der Jahresmitte in Kraft treten könnten.
Der hessische Sozialminister Stefan Grüttner (CDU) kritisierte die geplante Reform als unzureichend. „Wir benötigen vor allem eine Regelung auch für diejenigen, die sich nicht erklären.“ Die Bundesärztekammer betonte, zwar wären „auch andere Lösungen denkbar gewesen, etwa die Widerspruchslösung“. In diesem Fall hätten die Menschen einer Entnahme zu Lebzeiten widersprechen müssen, um nicht als Spender zu gelten. Kammerpräsident Frank Ulrich Montgomery sagte der Zeitung „Die Welt“ aber weiter: „Weil solche Lösungen im Bundestag niemals eine Mehrheit bekommen hätten, bringt es jetzt nichts, zu beckmessern.“
Die Deutsche Stiftung Organtransplantation nannte die Reform wichtig, aber nicht ausreichend. Zusätzlich sei eine Infokampagne notwendig, sagte Vorstand Günter Kirste im Deutschlandfunk. „70 bis 75 Prozent der Bevölkerung sind pro Organspende eingestellt (...) - die müssen wir an ihrer Position abholen.“
Bislang müssen die Menschen ihre Bereitschaft zur Spende eigeninitiativ erklären - per Ausweis oder gegenüber den Angehörigen. 2011 spendeten rund 1200 Menschen nach ihrem Tod Organe - 7,4 Prozent weniger als im Jahr zuvor, als es einen Rekord gab. 2011 gab es zudem 878 Menschen, die eine Niere oder einen Leberlappen zu Lebzeiten spendeten.