Reportage: Übers Mittelmeer nach Deutschland
Karlsruhe (dpa) - Lamin, Hani und Ahmad haben es geschafft. Ihre Boote sind auf der Fahrt übers Mittelmeer nicht gekentert. Jetzt sind sie in Deutschland.
Die drei Afrikaner berichten bei einem Treffen mit der Deutschen Presse-Agentur im Menschenrechtszentrum Karlsruhe von Unterdrückung in ihren Heimatländern Somalia und Gambia, von Gräueltaten der Schleuser, von sklavenähnlicher Arbeit und von Gleichgültigkeit in Italien und Deutschland. Allein aus diesen beiden Ländern kamen im vergangenen Jahr nach Angaben der EU-Grenzsicherungsagentur Frontex mehr als 16 000 Menschen über das Mittelmeer nach Europa.
„Gott sei Dank, dass ich lebendig nach Europa gekommen bin, damit habe ich nicht mehr gerechnet.“ Der 20-jährige Somalier Ahmad Mahmood klingt erleichtert, als er von seiner Ankunft auf der italienischen Insel Lampedusa erzählt, im August vergangenen Jahres. Aber seine Augen sind traurig. Seine Mutter hat das Elternhaus verkauft, um 4000 Euro für die Schleuser zu bezahlen. Und seine Frau ist mit den beiden Kindern in Somalia geblieben. Der Mann mit den schmalen Händen will Arzt werden, damit er seinem epilepsiekranken Sohn helfen kann - oder ihn auch nach Europa holen.
Mahmood kam auf einem Fischerboot übers Mittelmeer, von der libyschen Küstenstadt Zuwara aus, mit rund 400 Flüchtlingen an Bord. „Es waren vier tunesische Schleuser auf dem Boot“, erzählt er. „Wer den Mund aufgemacht hat, ist geschlagen worden, mit einem Stock. Viele haben geblutet. Einer war bewusstlos und ist ins Meer geworfen worden. Da haben sie gesagt: Wer sich nicht benimmt, wird auch so behandelt.“
Der zierlich wirkende Somalier sagt: „Ich habe mich nicht viel bewegt, um Energie zu sparen. Ich lag die meiste Zeit im Maschinenraum, da war es sehr heiß. Ich habe gedacht, solange ich noch die Motorengeräusche höre, ist alles in Ordnung.“ Jetzt wartet er in Fellbach (Rems-Murr-Kreis) auf Antwort zu seinem Asylantrag.
Neben Mahmood hört Hani Daud seiner Geschichte zu. Wie er berichtet auch die 26-jährige Somalierin von Repressalien der islamistischen Miliz Al Schabab: „Weil ich auf dem Flughafen von Kismayo gearbeitet habe und dort Kontakt mit Europäern hatte, haben mich die Leute von Al Schabab als Verräterin bezeichnet. Ich musste weg.“
In Kenia traf sie einen somalischen Schleuser. „Sie sagen vorher nicht, was es kostet. Erst als wir in Libyen waren, haben sie 4000 Dollar verlangt. Sie haben gedroht, mich umzubringen, wenn ich nicht zahle. Ich musste meine Familie anrufen und sie bitten, das Geld zusammenzubringen und zu schicken.“
Zehn Tage ging es durch die Sahara nach Libyen. Die Schleuser hätten allein reisende Frauen vergewaltigt, sagt die junge Frau. „Wenn eine Frau mit einem Mann reist, passiert das nicht. Ich habe über einen Mann gesagt, dass er mit mir zusammen ist. Sie haben uns geschlagen. Als Frau allein auf der Flucht zu sein, ist sehr schwer.“
Der Ankunft in Libyen folgten Festnahme, Gefängnis, Arbeit „wie Sklaven auf dem Feld“, Flucht und ein Deal mit weiteren Schleusern, die sie 20 Tage in einem Haus in Tripolis festhielten. „Anfang Juli 2014 ging es dann los. Sie haben uns ans Ufer geführt, und ich habe gesehen, wie sie ein Schlauchboot aufgeblasen haben. Sie haben gesagt: Das ist euer Boot. Ich war schockiert: So ein kleines Boot!“
In dem Schlauchboot waren 125 Menschen zwei Tage und zwei Nächte auf dem Meer. Weil so wenig Platz gewesen sei, hätten die Männer abwechselnd stehen müssen. Im Boot sei dann ein Kanister mit Reservebenzin ausgelaufen, „wir waren mit den Füßen in dieser Brühe, es war unerträglich“. Während der Fahrt seien fünf Menschen gestorben und ins Meer geworfen worden. „Ich hatte mich da schon fast aufgegeben.“ Als das Boot von der italienischen Marine gesichtet worden sei, habe ihr das Wasser bis zur Hüfte gestanden. „Nach kurzer Zeit ist das Boot gesunken, ich war im Wasser, es war ein großes Durcheinander. Die Italiener haben uns gerettet und uns versorgt.“
Jetzt ist Hani Daud in einer Unterkunft für Asylbewerber in Bühl (Kreis Rastatt). „Ich schlafe nicht normal. Ich denke immer an meine fünf Kinder, die ich in Kismayo zurücklassen musste. Sie sind jetzt ein bis sieben Jahre alt, und ihr Vater ist gestorben.“
Aus Gambia ist der 19-jährige Lamin Barrow nach Deutschland gekommen. Gut drei Jahre dauerte seine Flucht. Er habe sein Land verlassen, weil er es unter der Diktatur in dem westafrikanischen Land nicht ausgehalten habe, sagt er. Noch schwerer als die Bootsfahrt - mit 75 Menschen in einem Schlauchboot - sei die Fahrt durch die Wüste gewesen, von Agades in Niger nach Libyen, über Sabha bis Tripolis.
Barrow berichtet von rassistischen Erfahrungen in Libyen: „Ein Araber sagte zu mir: Warum betest du? Du bist doch schwarz!“ In Italien und Deutschland habe er unter der Gleichgültigkeit von Menschen gelitten. „Im Zug stehen Leute auf, wenn ich mich setze, und gehen an einen anderen Platz. Das ist nicht gerecht. Gott hat uns verschiedene Farben geschenkt, damit wir uns an Vielfalt freuen können.“
Der junge Gambier lebt nun in einer Unterkunft in Ostfildern (Kreis Esslingen). Er lernt Deutsch und will Elektroinstallateur werden. „Ich mache mir Sorgen, weil die deutschen Behörden sagen, dass in Italien meine Fingerabdrucke registriert sind. Und dass ich wegen des Dublin-Abkommens wieder nach Italien muss. Dort ist es schwer für Flüchtlinge. Ich weiß nicht, was ich machen soll.“
Alle drei Afrikaner sehen sehr viel älter aus, als sie sind, blicken oft depressiv vor sich hin. Vorzeitige Alterung als Folge einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTSD) sei leider häufig bei Bootsflüchtlingen zu beobachten, erklärt der Konstanzer Psychologe Thomas Elbert. „Trauma- und Gewalterfahrungen hinterlassen nicht nur im mentalen Gedächtnis Spuren, sondern verändern die Systemdynamik des einzelnen Menschen, also sein Wesen sowie das seiner Nachkommen.“
Um Menschen wie Lamin, Hani und Ahmad geht es am Freitag im Kanzleramt. Ministerpräsidenten und Bundesregierung beraten darüber, wie es weitergehen soll mit der Flüchtlingspolitik in Deutschland und Europa. Alle EU-Staaten müssten einheitliche Aufnahme- und Verfahrensbedingungen für Flüchtlinge garantieren, sagt die baden-württembergische Integrationsministerin Bilkay Öney (SPD). „Solidarität und Ideen auf europäischer Ebene sind auch gefordert, wenn es um Möglichkeiten und Wege geht, humanitäre Aufenthaltsmöglichkeiten außerhalb des Asylrechts zu schaffen.“