Sigmar Gabriel: Das wendige Alphatier

Ab Sonntag ist Sigmar Gabriel der dienstälteste SPD-Vorsitzende seit Altkanzler Willy Brandt — eine Zwischenbilanz.

Sonntag ist er genau fünf Jahre und zehn Tage SPD-Chef: Sigmar Gabriel.

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Berlin. Sigmar Gabriel ist mit sich selbst im Reinen. Man hat das Versprochene geliefert in der großen Koalition, vom Mindestlohn bis zur Rente mit 63. „Tun, was wir sagen, sagen, was wir tun“, erläutert der 55-jährige SPD-Chef und Vizekanzler den Erfolg. Er glaubt, dass hier ein Schlüssel für den Wiederaufstieg seiner Partei liegt.

Wieder Vertrauen aufbauen, das verloren ging, als man in der vorigen großen Koalition plötzlich die Mehrwertsteuer erhöhte und die Rente mit 67 einführte. Der andere: Die SPD ist in einem Maße geschlossen, wie sie es schon lange nicht mehr war. Kaum einer schießt quer, man kann sich aufs Regieren konzentrieren.

Bloß: Die SPD kommt nicht von der Stelle. Im November 2009, als Gabriel in Dresden zum Parteivorsitzenden gewählt wurde, zitierte er eine Meinungsumfrage, die der SPD trotz der damaligen Wahlklatsche von 23,0 Prozent bescheinigte, immer noch ein Potenzial von 37 Prozent zu haben. „Lasst uns daraus ein bisschen mehr machen!“, rief er unter Jubel aus, gewohnt großspurig. Bei der nächsten Wahl waren es dann aber wieder nur magere 25,7 Prozent, und das ist bis heute die Zustimmungsrate geblieben. Trotz aller seriösen Regierungsarbeit. Der SPD droht das Schicksal, ewiger Juniorpartner der Union zu sein, jedenfalls solange dort Angela Merkel oben steht.

Gabriel amtiert Sonntagn länger als irgendein SPD-Chef seit Willy Brandt. Die fünf Jahre und zehn Tage sind eine Leistung, wenn man bedenkt, dass die SPD seit 1987 zwölf Vorsitzende verschlissen hat.

Man kann mit Fug und Recht sagen, dass Gabriel seine Partei beruhigt hat. Er hat sie 2009 emotional aufgefangen, als sie nach dem Wahldesaster ganz tief am Boden lag, und er hat sie 2013 ohne Krach in die große Koalition geführt, indem er die Basis per Urabstimmung beteiligte. Das hätte alles auch ganz anders kommen können. Gabriel liebt die Partei, sie ihn. Er kann Partei. Er ist auch ihr natürlicher Kanzlerkandidat für 2017.

Wie die SPD aber aus dem Keller der 25 Prozent herauskommt, das weiß der große Vorsitzende, dessen emotionale Parteitagsreden selten unter zwei Stunden dauern, nicht. Merkels Erfolgsgeheimnis ist, dass sie sich inhaltlich weitgehend heraushält und abwartet. Gabriel tickt anders: Er positioniert sich oft und polarisiert auch. Der gelernte Lehrer ist ein politisches Alphatier wie Gerhard Schröder. Aber er ist wendiger als dieser. Von wegen „tun, was wir sagen, sagen, was wir tun“. Oder sind es Häutungen, ist es ein Reifeprozess?

Es gibt mindestens drei politische Gabriels, wenn nicht mehr. Den aufmüpfigen Nachwuchspolitiker, der sich zu Beginn seiner Karriere von Hannover aus munter gegen die eigene Führung profilierte. Dann gab er den besorgten Umweltminister und Klimaschützer, griff das Dienstwagenprivileg an. Und seit vorigem Jahr ist er ein Wirtschaftsminister und Vizekanzler, der plötzlich auch die Interessen der Automobil- und Kohleindustrie schützt, der das große Ganze sehen will.

Gabriel will seine Partei wieder alltagstauglicher machen. Fortschrittliche Politik aus der Mitte des Lebens heraus nennt er das. Das klingt verdächtig nach Angela Merkels „Mitten im Leben“. Es soll eine Politik befreit von Ideologien und allzu kühnen Ideen sein.

Neuerdings versucht er der SPD dazu die letzte linke Flause auszutreiben, die Vermögenssteuer. Kein Wunder, dass sich nun zum ersten Mal erkennbarer Widerstand formiert. Die derzeit noch zersplitterte Parteilinke versucht sich neu zu organisieren und findet gerade hier ihr Thema. Es ist vielleicht die eine Drehung zu viel und ein Vorzeichen dafür, dass auch das System Gabriel seine Grenzen hat.