Salzgitter Sigmar Gabriel: Der Finger der SPD
Der SPD-Bundesvorsitzende zeigt pöbelnden Rechten den Stinkefinger - darf er das?
Berlin. Auf den Bildern ist nicht nur der Stinkefinger zu sehen. Sondern auch das typische, überlegene Lächeln von Sigmar Gabriel, das er immer dann aufsetzt, wenn er glaubt, von irgendeinem Stumpfsinn genervt zu werden. Sein "Ihr könnt mich mal"-Grinsen. Es ist Freitag letzter Woche, als der Vizekanzler in Salzgitter nach einer Veranstaltung von Rechten als "Volksverräter" angepöbelt wird. "Dein Vater hat sein Land geliebt, und was machst du? Du zerstörst es", wird ihm von einem der Maskierten zugerufen. Die Szenerie wurde gefilmt und jetzt ins Netz gestellt. Gabriel grinst lässig sein Grinsen. Er belässt es aber nicht dabei. Er zeigt den ausgestreckten Mittelfinger.
Darf er das? Als Parteivorsitzender, mehr noch als Vizekanzler, der womöglich Kanzler werden will? Man muss wissen, die Geschichte seines Vaters ist für Gabriel ein wunder Punkt. Er war überzeugter Nationalsozialist, wie der SPD-Chef 2013 öffentlich machte. An Berührungen, so erzählte er damals, könne er sich nicht erinnern - außer beim Bestrafen. Mit 18 Jahren erfuhr Gabriel, dass sein Vater Nazi war, kein Gespräch änderte das. Ein "unbändiger Zorn" sei ihm aus der Kindheit geblieben, meinte er seinerzeit. Und genau bei diesem persönlichen Trauma wurde er von einem dreisten Rechten, der noch nicht mal sein Gesicht zeigt, gepackt. War das der Grund für Gabriels Reaktion?
Der Niedersachse ist sicher ein emotionaler Typ, dem anders als Kanzlerin Angela Merkel mitunter auch öffentlich der Kragen platzt. Im sächsischen Heidenau, wo Rechte letztes Jahr vor einem Flüchtlingsheim randalierten, ertrug die CDU-Chefin bei ihrem Besuch stoisch übelste Schmähungen, ohne eine Reaktion. Der SPD-Chef holte hingegen vor Ort die verbale Keule raus: Sie seien "Pack", beschimpfte er die Demonstranten.
Seitdem sollen die Drohungen gegen den Minister vor allem im Netz sprunghaft angestiegen sein. Gabriel, so heißt es, sei eben niemand, der einfach alles hinnehme. Erinnerungen werden da wach - und zwar an Helmut Kohl. Zum Entsetzen seiner Leibwächter stürmte der damalige Kanzler 1991 in Halle auf einen Eierwerfer zu und versuchte ihn zu packen. Freilich war der Übeltäter kein Rechter, sondern ein Juso.
Wobei der "Stinkefinger" eine andere Qualität hat. Es ist eine obszöne Geste, eine Beleidigung, die sogar strafrechtlich verfolgt werden kann. Schon einmal zeigte ein hochrangiger Genosse den ausgestreckten Mittelfinger: 2013 ließ sich Kanzlerkandidat Peer Steinbrück im Bundestagswahlkampf mit dieser Geste für das Cover des "Süddeutsche Magazins" ablichten. Was etwas Rebellisches und Unangepasstes vermitteln sollte, wurde zum klassischen Eigentor. Für jemanden, der Kanzler werden wolle, gehöre sich das nicht, war die weitverbreitete Meinung. Steinbrücks Wahlkampf war endgültig verhagelt.
Nun wird also bei Gabriel gefragt: Muss er sich als wichtiger Politiker, der noch wichtiger werden will, nicht beherrschen können, vor allem in brenzligen Situationen? Da gehen die Meinungen auseinander. Eine abschließende Antwort darauf gibt es nicht. Im Netz war auf jeden Fall am Mittwoch die Hölle los - es überwogen verständliche Reaktionen. "Wie oft hat jeder einzelne schon den Mittelfinger in der Öffentlichkeit gezeigt?" fragte zum Beispiel ein User bei Twitter. "Mehr Mittelfinger wagen", meinte ein anderer in Anlehnung an einen alten SPD-Slogan.