SPD: Scholz legt sich mit Schulz an
Der Hamburger Bürgermeister legt ein Papier vor, in dem er sich von seinem Parteichef abgrenzt. Aber tritt er auch gegen ihn an?
Düsseldorf. Olaf Scholz wagt sich aus der Deckung. In der Debatte um die Ausrichtung der SPD meldet sich der Hamburger Bürgermeister und Parteivize mit einem Grundsatzpapier zu Wort, in dem er sich klar von Parteichef Martin Schulz abgrenzt. Ein Bekenntnis, die SPD mit Schulz an der Spitze nach dem Desaster bei der Bundestagswahl wieder aufzurichten, fehlt.
Das Papier mit dem Titel „Keine Ausflüchte! Neue Zukunftsfragen beantworten! Klare Grundsätze!“ kommt zu einem für Schulz denkbar ungünstigen Zeitpunkt. Einen Monat nach der Niederlage bei der Bundestagswahl steht der Parteichef intern in der Kritik, gilt als schwer angeschlagen. In Sachen Personalpolitik erlaubt sich der Mann aus Würselen eine Panne nach der anderen. Bei dem Versuch, den Generalsekretär Hubertus Heil zum Fraktionsgeschäftsführer zu machen, übersieht Schulz die Ansprüche der Parteirechten. Die setzen Carsten Schneider durch. Der enttäuschte Heil weigert sich, Generalsekretär zu bleiben.
Schulz macht Lars Klingbeil zum Nachfolger. Prompt hagelt es Gegenstimmen, weil damit außer Fraktionschefin Andrea Nahles Frauen in Top-Positionen fehlen. Besonders negativ wiegt Schulz’ Versuch, die ehemalige Juso-Vorsitzende Johanna Ueckermann zur Bundesgeschäftsführerin zu machen. Sie sagt ab. Als Amtsinhaberin Juliane Seifert von der Aktion ihres Chefs erfährt, kündigt sie.
Ab heute will die SPD auf acht Regionalkonferenzen über das Wahlergebnis und die Konsequenzen daraus diskutieren. Schulz betont, dass er dies ergebnisoffen tun und vor allem zuhören wolle.
Dass er die SPD deutlich weiter links verorten möchte, hat der Parteichef allerdings jüngst in einem „Zeit“-Interview sehr deutlich gemacht. „Wir müssen wieder Mut zur Kapitalismus-Kritik fassen“, so Schulz. „Es gehe sehr wohl um die Frage, welches System wir haben.“
Im Gegensatz dazu plädiert Olaf Scholz für einen Mitte-Links-Kurs. „Wirtschaftliches Wachstum wird auch in Zukunft eine zentrale Voraussetzung sein, um eine fortschrittliche Agenda zu verfolgen“, schreibt der Hamburger Bürgermeister. Er fordert, bei der Analyse des Wahlergebnisses auf die SPD-intern immer wieder gern bemühten Ausflüchte zu verzichten. Weder die fehlende Mobilisierung der eigenen Anhänger noch ein mangelnder Fokus auf soziale Gerechtigkeit tauge als Erklärung — schließlich habe der Wahlkampf „ganz im Zeichen der sozialen Gerechtigkeit gestanden“.
Scholz attestiert seiner Partei, strukturelle Probleme zu haben. Es führe nicht weiter, über Plakate zu debattieren oder darüber, „ob der Kanzlerkandidat falsch beraten war oder etwas falsch gemacht hat“. Es müsse der Partei gelingen, „Fortschritt und Gerechtigkeit in pragmatischer Politik“ zu verbinden.
Die SPD werde seit Längerem als zu taktisch wahrgenommen, so Scholz. Er erinnert an die große Koalition 2005, die mit einer drastischen Erhöhung der Mehrwertsteuer an den Start gegangen sei, obwohl die SPD genau dies zuvor im Wahlkampf heftig bekämpft habe. „Das hat strukturell Vertrauen gekostet.“
An mehreren Stellen in seinem Papier versucht der Hamburger Bürgermeister, die SPD als die Partei der kleinen Leute zu positionieren. „Wer Metallbauer, Lagerarbeiter oder Krankenpflegerin werden und das auch bleiben will, hat im Leben nichts falsch gemacht.“ Weiter heißt es: „Anerkennung steht auch denen zu, die keine hoch bezahlten Jobs verrichten. Ihre Anliegen müssen die Anliegen der ganzen Gesellschaft sein — und insbesondere die Anliegen der SPD.“
Anfang Dezember treffen sich die Genossen zum Bundesparteitag in Berlin. Schulz, im Frühjahr mit 100 Prozent gewählt, tritt wieder an. Scholz ist der Überzeugung, dass er es eigentlich besser könnte als Schulz. Den Mut, als Gegenkandidat anzutreten, hat er aber wohl nicht. Es sei denn, die Zahl seiner Anhänger schwillt mit dem Grundsatzpapier dramatisch an.