Staatsanwalt will sechs Jahre Haft für Demjanjuk
München (dpa) - Der mutmaßliche KZ-Wachmann John Demjanjuk soll nach dem Willen der Staatsanwaltschaft München wegen Beihilfe zum tausendfachen Mord für sechs Jahre hinter Gitter.
Demjanjuk sei von März bis September 1943 als Aufseher im Vernichtungslager Sobibor an der Ermordung von mindestens 27 900 Juden beteiligt gewesen, sagte Staatsanwalt Hans-Joachim Lutz am Dienstag vor dem Landgericht München II.
„Wer Schuld in derart hohem Maß auf sich geladen hat, muss bestraft werden, auch noch nach 60 Jahren und in so hohem Alter“, verlangte Lutz. „Seine Schuld besteht in seiner freiwilligen Mitwirkung an der Ermordung der Juden.“ Der 90-jährige Angeklagte verfolgte das Plädoyer - wie schon den ganzen Prozess - regungslos auf einem Rollbett neben der Richterbank, die Augen durch eine Sonnenbrille verdeckt.
Demjanjuk habe aus niedrigen Beweggründen gehandelt, zog Lutz nach rund 85 Verhandlungstagen und 16 Prozessmonaten Bilanz. Der gebürtige Ukrainer habe sich die „rasseideologischen“ Ziele der Nazis zu eigen gemacht und den Tod der Juden gewollt. „Das ergibt sich daraus, dass keine Bemühungen des Angeklagten erkennbar sind, sich der Tätigkeit zu entziehen.“
Die Opfer in Sobibor, vor allem Juden aus den Niederlanden, seien grausam und heimtückisch in den Gaskammern ermordet worden. Alle rund 150 Wachmänner seien beteiligt gewesen. Die 20 bis 30 SS-Männer hätten die „industrielle Vernichtung“ tausender Menschen alleine gar nicht bewältigen können. „Eine konkrete Einzelhandlung des Angeklagten ist nicht nachweisbar. Aber wie sollte das auch möglich sein angesichts des Routinebetriebs?“, sagte Lutz. „Jeder Angehörige des Wachpersonals war an dem routinemäßigen Tötungsvorgang beteiligt. Die Vernichtungsmaschinerie konnte nur funktionieren, wenn jeder seinen Teil dazu beitrug.“
Demjanjuk sei 1942 als Rotarmist in deutsche Gefangenschaft geraten und im SS-Ausbildungslager Trawniki zum Wachmann ausgebildet worden. „Für den Angeklagten spricht sicher die Tatsache, dass er sich nicht freiwillig zu diesem Dienst gemeldet hat“, räumte der Staatsanwalt ein. Die Entscheidung sei aus der Not heraus geboren, nicht im Kriegsgefangenenlager zu verhungern. Dennoch hätte Demjanjuk später fliehen können.
Zu seinen Gunsten müsse berücksichtigt werden, dass er nur einfacher Wachmann war, und dass er in Israel fast acht Jahre in Haft saß. Dort war er als „Iwan der Schreckliche“ von Treblinka zum Tode verurteilt, nach fünf Jahren Todeszelle aber freigesprochen worden.
Die Nebenklagevertreter Martin Mendelsohn und Stefan Schünemann, die zwei Sobibor-Überlebende vertreten, betonten, es sei den Nebenklägern nie um Rache oder eine harte Strafe gegangen, sondern um Gerechtigkeit und Wahrheit. Demjanjuk habe die Chance verpasst, zur Aufklärung beizutragen und damit das Leid der Ermordeten und der Nebenkläger als Zeitzeuge zu bestätigen, sagte Schünemann. „Das dürfen wir sogar heute noch von ihm erwarten.“
Demjanjuks Verteidiger haben schon bislang stets klargemacht, dass sie einen Freispruch wollen. Sie sollen im April plädieren. „Ich schätze schon, dass ich drei Tage brauche - mindestens drei Tage. Das bedarf einer ausführlichen Antwort“, sagte Anwalt Ulrich Busch. Er hatte zuletzt den Schluss der Beweisaufnahme mit einer Flut von mehr als 400 Anträgen verzögert.
Sollte das Gericht dem Antrag der Anklage folgen, könnte Demjanjuk schon nach zwei Jahren freikommen. Er sitzt bereits seit zwei Jahren in Untersuchungshaft - und nach zwei Dritteln der Strafe kann sie bei guter Führung zur Bewährung ausgesetzt werden. Möglicherweise ist Demjanjuk wegen seiner angeschlagenen Gesundheit aber auch gar nicht haftfähig.