Münchener Sicherheitskonferenz Steinmeier sagt neuen Kalten Krieg ab — und glaubt nicht an Syrien-Durchbruch
Frank-Walter Steinmeier ist nur zu „51 Prozent“ davon überzeugt, dass es innerhalb einer Woche zu einem Waffenstillstand in Syrien kommen wird — und baut den Russen diplomatische Brücken. Doch die mögen nicht drüber gehen.
München. Also, er habe Dmitri Medwedew ganz anders verstanden, als dieser in den Agentur-Meldungen zitiert werde, so Frank-Walter Steinmeier am Mittag im „Bayerischen Hof“. Der Außenminister, der am Morgen des zweiten Tages der Münchner Sicherheitskonferenz mit Sorgenfalten auf der Stirn vor einem Auseinanderbrechen der Europäischen Union gewarnt hat, sitzt vergleichsweise entspannt neben seinem russischen Kollegen Sergej Lawrow und baut den Russen Brücken.
Er habe Medwedew eher so verstanden, dass dieser vor einem Abrutschen in einen neuen Kalten Krieg habe warnen wollen. Für diese Lesart der Rede des russischen Ministerpräsidenten muss man wahrscheinlich wirklich Deutschlands Chef-Diplomat sein. Um jeden Zweifel auszuschließen, wer in Wahrheit sprach, redete der russische Ministerpräsident der Einfachheit halber dort weiter, wo Putin bei seinem letzten Besuch der Sicherheitskonferenz 2007 aufgehört hatte. „Jeden Tag werden wir zu der größten Bedrohung für die Welt erklärt“, so Medwedew, dabei seien doch ganz andere schuld an den Krisen der Welt.
In der Welt, wie sie Medwedew im Namen Putins sieht, ist Besetzung der Krim und die Infiltration der Ost-Ukraine mit russischem Militär ein „Bürgerkrieg“ innerhalb der Ukraine. Und dass das Abkommen von Minsk immer noch nicht vollständig umgesetzt werde, seien ausschließlich die ukrainischen Behörden schuld. Die Wirtschafts-Sanktionen gegen sein Land betrachtet der Ministerpräsident als Rechtsbrüche aus politischer Zweckmäßigkeit: „Sind unsere Widersprüche so groß, dass wir das brauchen?“ In seiner Rede fragt er auch: „Brauchen wir einen dritten Weltschock?“
Medwedew bestreitet, dass Russland in Aleppo Zivilisten bombardiert und zur Flucht treibt — während laut syrischer Quellen die Angriffe weitergehen. Die Flüchtlingskrise habe der Westen sich selbst zuzuschreiben, findet Medwedew. Sie sei schließlich eine Folge „der Staatenzerstörung des sogenannten arabischen Frühlings“. Im Kampf gegen den IS, der „Tierinstinkten“ folge, heiße es „Wir oder sie“. Im übrigen lasse Europa mit den Flüchtlingen Terroristen über den Kontinent ziehen und Leute, denen es bloß um das Kassieren von Sozialleistungen gehe.
Einer, der seit zwei Jahren geübt im Umgang mit der „besonderen“ russischen Sicht der Welt ist, redet kurz nach Medwedew und spricht dessen Herrn und Meister direkt an: „Herr Putin, das ist kein ukrainischer Bürgerkrieg, dass ist Ihre Aggression. Es gibt auch keinen Bürgerkrieg in Syrien, das ist Ihr Flächenbombardement“, poltert der ukrainische Präsident Petro Poroschenko. Putin sei dabei, sich ein alternatives Europa unter seiner Führerschaft zu schaffen. Er habe bereits überall seine politischen Bodentruppen, die dabei seien Europa zu destabilisieren — auf dessen Solidarität Poroschenko baut: „Die Sanktionen sind keine Strafen, sondern ein Mittel, Russland am Verhandlungstisch zu halten. Es gibt kein anderes.“
Das alles weiß natürlich auch Frank-Walter Steinmeier. Denn am Morgen vor dem zweiten Tag der Sicherheitskonferenz hat im „Bayerischen Hof“ auch das „Normandie-Treffen“ (Deutschland, Frankreich, Russland und Ukraine) zur Umsetzung des Minsker Ukraine-Abkommens getagt. Steinmeier drängt darauf, dass Russland und die Ukraine jeweils ihren Teil erledigen. Bis zum nächsten Treffen soll ein Plan her. In Sachen Syrien mag der russische Außenminister Sergej Lawrow nicht so richtig über die Brücken gehen, die Steinmeier ihm baut. In einer langen, äußerst umständlichen Antwort sieht er die Chancen für eine Waffenruhe in Syrien bei lediglich 41 Prozent. Aber immerhin fängt er auch nicht wieder vom Kalten Krieg an. Und fährt Steinmeier auch nicht in dessen Parade als diesjähriger Vorsitzender der OSZE.
Als OSZE-Vorsitzender sagt der deutsche Außenminister kernige Sätze, die darauf abzielen, Europa knapp eine Woche vor dem nächsten EU-Gipfel auf einen Kurs jenseits der derzeitigen Kleinstaaterei zu bringen: „Die Flüchtlingskrise muss uns ein Anstoß sein, uns noch entschiedener international zu engagieren“, sagt Steinmeier, und: „Die wahre Kraft von Staaten misst sich daran, ob und wie sie Verantwortung für ihre Region tragen - am Verhandlungstisch.“ Aber eben auch: „Politische Prozesse haben nur eine Chance, wenn wir sie aktiv flankieren.“ Das schließt militärische Optionen ausdrücklich ein.
Schon am Morgen hat Steinmeier betont, dass eine Menge auf dem Spiel stehe: „Die Fliehkräfte in Europa sind so groß, dass wir selbst hier auf der Münchner Sicherheitskonferenz ein Signal senden sollten und gemeinsam hart arbeiten, damit wir in einem Jahr bei der nächsten Sicherheitskonferenz noch dieselbe EU finden, wie wir sie heute haben. Dann wäre viel gewonnen. Wir müssen um Europa kämpfen!“
Während die Konferenz sich in die Mittagspause begibt, sammeln sich um die großzügig bemessene Sicherheitszone des „Bayerischen Hof“ rund 2000 Teilnehmer zur traditionellen jährlichen Gegendemonstration, an der ebenso traditionell der Liedermacher Konstantin Wecker teilnimmt. Knapp 4000 Polizisten passen auf alles auf. Wenigstens rund um den wichtigsten Konferenzsaal der Welt ist letztere halbwegs in Ordnung.