Streit um Stuttgart 21 droht wieder zu eskalieren

Stuttgart/Berlin (dpa) - Der Konflikt um das Bahnprojekt Stuttgart 21 droht erneut zu eskalieren. Die Deutsche Bahn will trotz des Protests der grün-roten Landesregierung schon bald weiterbauen.

Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) scheiterte am Freitag mit dem Versuch, Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) von einer Verlängerung des zweimonatigen Bau- und Vergabestopps zu überzeugen. Die Gegner des Milliardenprojekts kündigten daraufhin eine neue Protestwelle an.

Kretschmann gibt aber nicht auf: Er will weitere Gespräche mit der Bahn. Am Sonntagabend kommen die Spitzen der grün-roten Koalition in Stuttgart zu einem Krisengespräch zusammen.

Projektsprecher Wolfgang Dietrich bestätigte, dass die Bahn ihre Vorbereitungen für Baumaßnahmen und Auftragsvergaben vorantreibe. „Das heißt aber nicht, dass am Montag die Bagger rollen“, sagte er der Nachrichtenagentur dpa. Er versprach, die Maßnahmen zwei bis drei Tage vorher anzukündigen. „Wir werden keine Nacht- und Nebelaktionen starten.“ Bahnchef Rüdiger Grube hatte Anfang der Woche noch angekündigt, die Bauarbeiten begännen an diesem Montag.

Kretschmann sagte nach dem Gespräch mit Ramsauer in Berlin: „Wir werden jetzt Gespräche mit dem Bahnvorstand führen, in der Koalition diskutieren und, wenn es sein muss, noch einmal den Lenkungsausschuss einberufen.“ Das zuständige Spitzengremium mit Vertretern von Bahn, Land und Stadt Stuttgart könne sich im Laufe der kommenden Woche treffen.

Unklar ist, ob die Landesregierung bereit ist, sich an den Kosten für einen längeren Bau- und Vergabestopp zu beteiligen. Auf die Frage, ob er Ramsauer angeboten habe, einen Teil der Kosten für den Bau- und Vergabestopp zu übernehmen, sagte Kretschmann nur: „Das Gespräch war vertraulich.“ Bisher hatte Grün-Rot eine finanzielle Beteiligung strikt abgelehnt.

Ramsauer machte nach dem Treffen mit Kretschmann deutlich, dass er „weder politisch noch rechtlich über eine Legitimation verfüge“, sich in die Umsetzung geltender Verträge anderer Vertragspartner einzumischen. „Der Bundesverkehrsminister ist weder Polier auf der Baustelle noch Bauherr.“ Der Bund als Eigentümer gehe davon aus, dass die Deutsche Bahn (DB) sich an die Verträge halte. Ramsauer verwies auf drohende Vertragsstrafen etwa an die Stadt Stuttgart. „Das kann die DB sehenden Auges natürlich so auf sich nicht zukommen lassen.“

Der Konzern muss laut Ramsauer klären, wenn jetzt von ihm „weiteres Zuwarten, weitere Verzögerungen erwartet werden, wer für diesen Schaden dann aufkommt. Das kann die DB selbst nicht tragen.“ Die von der Bahn genannten Summen für die Kosten weiterer Verzögerungen erschienen ihm „mehr als plausibel, eher sogar vorsichtig“. Kretschmanns Sprecher erklärte dagegen, die von der Bahn genannten 410 Millionen Euro für den Bau- und Vergabestopp bis zur geplanten Volksabstimmung seien wohl zu hoch gegriffen.

Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) kritisierte Ramsauer und die Bahn. Das Gespräch zwischen Kretschmann und Ramsauer sei auf Wunsch der Bahn zustande gekommen. „Wenn jetzt Minister Ramsauer die Entscheidungszuständigkeit an den Bahnvorstand zurückspielt, ist dies ein Verantwortungs-Pingpong, der den schwierigen Verhältnissen in Stuttgart nicht gerecht wird“, sagte er der dpa. „Wenn die Bahn tatsächlich am Montag weiterbauen sollte, verlässt sie den Geist des Schlichtungsprozesses unter Heiner Geißler, zu dem sie sich mehrfach bekannt hat.“

Die oppositionelle CDU in Baden-Württemberg appellierte an Kretschmann, die geltenden Verträge zu Stuttgart 21 endlich zu akzeptieren. Grün-Rot müsse darauf hinwirken, „dass wir keine Protestwellen mehr wie vor der Schlichtung in Stuttgart bekommen“, sagte der Fraktionsvorsitzende Peter Hauk.

Die Gruppe der „Parkschützer“ will aber mobilisieren. „Wenn die Bahn einen Zaun um den Südflügel baut, sind die Leute wieder auf der Straße“, sagte ihr Sprecher Matthias von Herrmann.

Der Stuttgart-21-Schlichter Heiner Geißler zeigte Verständnis für die Position der Bahn. Die Forderung der Landesregierung nach einem weiterhin kompletten Bau- und Vergabestopp könne er nicht nachvollziehen, sagte Geißler der dpa: „Ich kann nicht radikal sagen, es darf überhaupt nicht gebaut werden.“ Allerdings dürfe die Bahn - wie in der Schlichtung Ende des Jahres 2010 vereinbart - nur Maßnahmen angehen, die dem Ergebnis des Stresstests für den Tiefbahnhof nicht vorgreifen. Das Ergebnis des Leistungstests für den geplanten Tiefbahnhof soll Anfang Juli vorgestellt werden.