Studie: Weniger Ausländerfeinde, mehr Radikale

Bei der Mehrheit der Deutschen stehen demokratische Werte hoch im Kurs, gleichzeitig steigt die Ablehnung von Muslimen, Asylbewerbern sowie Sinti und Roma.

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Berlin. Eigentlich enthält die aktuelle „Mitte“-Studie, die seit 2002 im zweijährigen Rhythmus an der Uni Leipzig durchgeführt wird, in Bezug auf die Deutschen und ihre Einstellungen viele gute Nachrichten. Befürwortung einer rechtsautoritären Diktatur: rückläufig. Chauvinismus: rückläufig. Ausländerfeindlichkeit: rückläufig. Antisemitismus: rückläufig. Sozialdarwinismus: rückläufig. Verharmlosung der Nazi-Zeit: rückläufig. Manifester Rechtsradikalismus: rückläufig. Und dann kommt das große „Aber“.

Der Aussage „Durch die vielen Muslime hier fühle ich mich manchmal wie ein Fremder im eigenen Land“ stimmten 50 Prozent zu; 2014 waren es erst 43. Die These „Muslimen sollte die Zuwanderung nach Deutschland untersagt werden“ befürworteten 41,4 Prozent (2014: 36,6). Der pauschalen Aussage „Sinti und Roma neigen zur Kriminalität“ stimmten 58,5 Prozent zu (2014: 55,9). Und die Aussage „Die meisten Asylbewerber fürchten nicht wirklich, in ihrem Heimatland verfolgt zu werden“ bejahten 59,9 Prozent (2014: 55,3).

Die höchsten Zustimmungswerte erreichen diese Aussagen bei Anhängern der AfD und Nichtwählern. Aus den Zahlen lasse sich „eine Polarisierung der gesellschaftlichen Mitte ablesen, so die Autoren der Studie: „Der Teil mit rechtsextremen und autoritären Einstellungen radikalisiert sich; antipluralistische, völkische Gruppen sind sichtbarer geworden.“ Dort ist inzwischen auch die Bereitschaft anzutreffen, selbst gewalttätig zu werden.

Gleichzeitig lasse sich in der "Mitte" aber auch eine Zunahme der demokratischen Einstellungen nachweisen: Der weitaus überwiegende Teil vertraut gesellschaftspolitischen und Verfassungs-Institutionen, er lehnt auch Gewalt entschlossen ab. Die Ablehnung gegenüber einzelnen Gruppen — Muslime, Geflüchtete, Sinti und Roma — sei in seiner Dimension aber alarmierend und reiche bis weit in die Bevölkerungsteile, die sich selbst als Mitte oder links beschreiben.

Für die aktuelle Studie „Die enthemmte Mitte: Autoritäre und rechtsextreme Einstellung in Deutschland“ befragten die Wissenschaftler bundesweit 2420 Menschen. Auftraggeber sind die Heinrich-Böll-Stiftung (Grüne), die Rosa-Luxemburg-Stiftung (Linke) und die Otto Brenner Stiftung (IG Metall). Entsprechend heißt es im Vorwort der Studie: „Die Flüchtlingskrise ist einerseits bloßer Katalysator der Formierung neuer rechter Bewegungen. Andererseits aber wird mit dem Ressentiment gegen Flüchtlinge sichtbar, dass es in längst überkommen geglaubten völkischen Vorstellungen von Gesellschaft verankert ist.“

Das eignet sich glänzend, um einmal mehr über den „hässlichen Deutschen“ zu debattieren. Was die Studie weitgehend außer Acht lässt, sind die rein faktischen Ereignisse, die auch bei Anhängern von CDU bis zur Linken für hohe Zustimmungsquoten ablehnender Aussagen über Asylbewerber sowie Sinti und Roma sorgen. In Duisburgs und Dortmunds Problem-Gegenden bilden sich Anwohner die massiven Probleme mit Prostitution, Kinder-Verwahrlosung, Kriminalität, Lärm und der Müll schließlich nicht ein.

Die Angst vor kriminellen Ausländern ist kein rassistisches Hirngespinst: In NRW geht die Polizei in Sachen Einbruchskriminalität von einem hohen Anteil osteuropäischer Banden aus. In Frankfurt stieg die Zahl der nichtdeutschen Tatverdächtigen zwischen 1984 und 2012 von weniger als 8000 auf mehr als 26.000 — ein Plus von 267,8 Prozent. Zöge man großzügig Straftaten nach dem Aufenthaltsgesetz ab, die deutsche Kriminelle gar nicht begehen könne, bliebe immer noch eine Steigerung von 173,6 Prozent übrig.

In NRW lag 2015 der Anteil ausländischer Straftäter im Bereich Taschendiebstahl bei 80,2 Prozent. Die sei der höchste Anteil seit 20 Jahren gewesen, so die Polizei. Mit 38,1 Prozent stammte die größte Gruppe ausländischer Taschendiebe aus den Maghreb-Staaten Algerien, Marokko und Tunesien.

Nimmt man die längst in Deutschland angekommene islamistische Terrorgefahr und Ereignisse wie die Kölner Silvesternacht hinzu, ergibt sich zwangsläufig die Frage, ob die sehr gezielte Artikulation von Angst und Ablehnung bei allgemein abnehmendem Rassismus nicht als dringende politische Handlungsforderung zu lesen ist, bei denen es den Befragten weit weniger um die Gruppenzugehörigkeit der Täter als um ihre Taten geht.

Die grüne Boll-Stiftung beantwortet die Frage mit einem klaren „Nein“. So zeigten die Zahlen für die besondere Situation in Sachsen, dass die Le- und Pegida-Gruppen „keine Sammlung besorgter oder vorrangig sozioökonomisch abgehängter und prekärer Menschen sind“. Die vorrangigen Motive seien „ein völkisches, antipluralistisches Weltbild und ein starker antimuslimischer Rassismus. Die Auseinandersetzung ist deshalb im politischen Raum zu suchen und nicht in entpolitisierten Dialogen und psychotherapeutischen Ansätzen.“