Trauer um Altkanzler Helmut Schmidt
Hamburg (dpa) - Der frühere Bundeskanzler Helmut Schmidt ist tot. Der Sozialdemokrat starb am Dienstag zu Hause in Hamburg mit 96 Jahren im Kreis seiner Familie. Führende deutsche und europäische Politiker würdigten ihn als eine der prägendsten Persönlichkeiten der Nachkriegsgeschichte.
„In seinen öffentlichen Ämtern, ganz besonders als Bundeskanzler, hat Helmut Schmidt Großes geleistet“, schrieb Bundespräsident Joachim Gauck an Schmidts Tochter Susanne Kennedy-Schmidt. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) nannte Schmidt, der Deutschland zwischen 1974 und 1982 regiert hatte, eine „politische Institution der Bundesrepublik“.
„Er ist sehr, sehr friedlich gestorben“, sagte Schmidts Leibarzt Prof. Heiner Greten der Deutschen Presse-Agentur. Der Altkanzler war Anfang September in Hamburg wegen eines Blutgerinnsels am Bein operiert worden. Nach gut zwei Wochen verließ er auf eigenen Wunsch das Krankenhaus und kehrte in sein Haus in Hamburg-Langenhorn zurück, wo er rund um die Uhr betreut wurde. In den vergangenen Tagen hatte sich sein Gesundheitszustand rapide verschlechtert. Zuletzt war er Greten zufolge nicht mehr bei Bewusstsein.
Nach der Nachricht von seinem Tod legten Menschen am Nachmittag vor seinem Haus Blumen nieder und zündeten Kerzen an. Zahlreiche Fernsehteams und Fotografen versammelten sich. Die Stadt ließ an den Fahnenmasten des Rathauses schwarze Bänder anbringen.
Schmidt folgte Willy Brandt nach dessen Rücktritt als Bundeskanzler nach. In der Großen Koalition führte er von 1967 bis 1969 die SPD-Bundestagsfraktion und war danach Verteidigungs- und Finanzminister. Den Hamburgern blieb Schmidt auch als tatkräftiger Innensenator während der Sturmflut von 1962 im Gedächtnis.
Bundespräsident Gauck würdigte Schmidt als „einen der bedeutendsten deutschen Politiker der Nachkriegszeit“. Merkel sagte: „Er war auch für mich eine Instanz, dessen Rat und Urteil mir etwas bedeuteten.“ Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) erklärte: „Das jetzt ist eine Stunde, in der Deutschland innehält.“ Vizekanzler und SPD-Chef Sigmar Gabriel sagte, die Sozialdemokratie trauere um einen Menschen, der weit über die SPD hinaus als jemand im Gedächtnis bleibe, der mit Zuversicht, Realismus und Tatkraft „unser Land gestaltet hat“.
EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker nannte Schmidt einen „Freund, der mir, ebenso wie Europa, fehlen wird“. Frankreichs Präsident François Hollande sprach von einem „großen Europäer“. Der russische Präsident Wladimir Putin bezeichnete den Gestorbenen als „herausragende Persönlichkeit Nachkriegsdeutschlands für die europäische und globale Politik“.
Zu den größten Herausforderungen in Schmidts Kanzlerzeit gehörten die Ölkrise in den 70er Jahren und der Kampf gegen den Terrorismus der Roten Armee Fraktion (RAF). Resultierend aus den Erfahrungen als Soldat der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg war dem Diplomvolkswirt die europäische Einigung ein Herzensanliegen. Der SPD trat Schmidt nach der Entlassung aus britischer Kriegsgefangenschaft bei.
Als einer der Ersten wies Schmidt auf die Gefahren für das Rüstungsgleichgewicht durch neue sowjetische Mittelstreckenraketen hin. Der Nato-Doppelbeschluss führte zu einer heftigen Konfrontation auch mit seiner eigenen Partei.
Im Herbst 1982 scheiterte Schmidt mit seiner sozialliberalen Koalition an Differenzen in der Wirtschafts- und Sozialpolitik. Durch ein konstruktives Misstrauensvotum wurde Helmut Kohl (CDU) am 1. Oktober 1982 zu seinem Nachfolger gewählt.
Schmidt gehörte dem Bundestag noch bis 1987 an. Seit 1983 war er Mitherausgeber der Wochenzeitung „Die Zeit“. Er schrieb zahlreiche Bücher und reiste für Vorträge um die Welt. Auch im hohen Alter waren seine Meinung und sein Rat gefragt und geschätzt. Schmidt erhielt zahlreiche Auszeichnungen, seine Bücher standen wochenlang auf den Bestseller-Listen.
Seine Frau Loki, mit der 68 Jahre verheiratet war und die er seit der Schulzeit kannte, war am 21. Oktober 2010 im Alter von 91 Jahren gestorben. Im August 2012 bekannte sich Schmidt zu Ruth Loah als neuer Gefährtin. Sie zählte schon seit Jahrzehnten zu seinen Vertrauten. Tochter Susanne, promovierte Volkswirtin und Finanzjournalistin, lebt mit ihrem Ehemann Brian Kennedy in England.