Asylbewerber Trotz Hinweisen auf Tötung Oury Jallohs - Justiz will Verfahren einstellen
Köln. Im Fall des 2005 in einer Dessauer Polizeizelle bei einem Feuer gestorbenen Asylbewerbers Oury Jalloh geht ein Dessauer Staatsanwalt laut einem Medienbericht nun doch von einem begründeten Mordverdacht aus.
Wie das ARD-Magazin „Monitor“ am Donnerstag unter Berufung auf Ermittlungsakten berichtete, kamen mehrere Sachverständige aus den Bereichen Brandschutz, Medizin und Chemie nach den jüngsten Gutachten und Brandversuchen zu dem Schluss, dass ein Tod durch Fremdeinwirkung wahrscheinlicher sei als die These einer Selbstanzündung.
Auch der langjährige Ermittler der Staatsanwaltschaft Dessau, der leitende Oberstaatsanwalt Folker Bittmann, hält es demnach laut einem Schreiben vom April für wahrscheinlich, dass Jalloh bereits vor Ausbruch des Feuers mindestens handlungsunfähig oder sogar schon tot war und mit Brandbeschleuniger besprüht und angezündet wurde. Oberstaatsanwalt Bittmann benennt dem Bericht zufolge in dem Brief sogar konkrete Verdächtige aus den Reihen der Dessauer Polizeibeamten.
Die Generalstaatsanwaltschaft Naumburg in Sachsen-Anhalt hatte im vergangenen Jahr das Todesermittlungsverfahren zum Fall Jalloh an die Staatsanwaltschaft Halle übertragen. Diese kündigte im Oktober an, die Ermittlungen einstellen zu wollen. Halles leitende Oberstaatsanwältin Heike Geyer begründete dies damit, dass das Verfahren "keine ausreichenden tatsächlichen Anhaltspunkte für eine Beteiligung Dritter an der Brandlegung ergeben" habe, weshalb eine weitere Aufklärung nicht zu erwarten sei.
Die Auswertung der zahlreichen Gutachten lasse nur den Schluss zu, dass der konkrete Ausbruch des Brands, dessen Verlauf und das Verhalten Jallohs "nicht sicher nachgestellt und nicht eindeutig bewertet werden können", hieß es. Auch der von zwei verschiedenen Sachverständigen geleitete Brandversuch vom August 2016 habe keine sicheren Erkenntnisse erbracht.
"Seither hat sich an diesen Erkenntnissen nichts geändert", sagte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Halle am Donnerstag. Zudem seien die Gutachten und auch das Schreiben Bittmanns zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Verfahrenseinstellung aktenkundig gewesen. Im Kern sei ein Anfangsverdacht aufgrund der widersprüchlichen Aussagen der Gutachter und des uneinheitlichen Beweisbilds nicht gerichtsfest zu belegen.
Die Anwältin der Familie Jalloh legte gegen die Einstellung Beschwerde ein. „Angesichts der neuen Erkenntnisse ist die drohende Einstellung des Verfahrens ein Skandal“, sagte Rechtsanwältin Gabriele Heinecke dem ARD-Magazin.
Jalloh war am 7. Januar 2005 verbrannt in einer Polizeizelle des Polizeireviers Dessau gefunden worden. Er lag dort an Händen und Füßen gefesselt auf einer Matratze. Das Landgericht Magdeburg verurteilte den damaligen Dienstleiter 2012 wegen fahrlässiger Tötung zu einer Geldstrafe, weil er Jalloh besser hätte überwachen müssen. Der Bundesgerichtshof bestätigte 2014 das Urteil, in dem davon ausgegangen wurde, dass der Mann aus Sierra Leone die Matratze selbst angezündet hatte.
Dies wird von einer Jalloh-Gedenkinitiative seit langem bezweifelt. Sie legte 2015 ein eigenes Gutachten vor, wonach es unwahrscheinlich sei, dass dieser die Matratze selbst hätte anzünden können. Außerdem deutete laut diesem Gutachten vieles auf einen Brandbeschleuniger hin. Dass die Ermittler keine Spuren von Brandbeschleuniger fanden, erklären die Gutachter der Initiative damit, dass diese womöglich vollständig vom Feuer vernichtet wurden.
Die Linken im Magdeburger Landtag forderten, den Fall Oury Jalloh weiter zu untersuchen und sämtliche Vorgänge dazu aufzuarbeiten - und zwar außerhalb Sachsen-Anhalts. Die Grünen nannten den bis heute nicht aufgeklärten Tod Jallohs eine „offene Wunde im Rechtsstaat“. hex/cfm/AFP