Trotz Lampedusa keine Änderung der EU-Flüchtlingspolitik
Brüssel/Berlin (dpa) - Die EU-Staats- und Regierungschefs werden bei ihrem Brüsseler Gipfeltreffen wichtige Antworten auf das Flüchtlingsdrama im Mittelmeer schuldig bleiben. In der europäischen Asylpolitik werde es keine Neuausrichtung geben.
Dies kündigten EU-Diplomaten übereinstimmend vor dem zweitägigen Spitzentreffen an, das am Donnerstag beginnt.
Vor allem Italien pocht auf mehr Hilfe der EU-Partner bei der Bewältigung von Flüchtlingsströmen. EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso sagte, es gebe zwar keine Wunderlösungen, unterstrich aber gleichzeitig: „Wir müssen alle mehr tun, um Tragödien dieser Art zu verhindern.“ Der Portugiese nannte vor dem Europaparlament am Mittwoch unter anderem einen besseren Grenzschutz und den verstärkten Kampf gegen Schlepper. Weitere Themen des Herbstgipfels sind der Streit um die europäische Bankenunion und die Stärkung der Internetbranche.
Angela Merkel nimmt an dem Gipfel als geschäftsführende Kanzlerin teil. Ihr schwarz-gelbes Kabinett hatte am Dienstag die Entlassungsurkunden erhalten.
Deutsche Regierungskrise berichteten, man sei über die Flüchtlingskatastrophen wie vor der italienischen Insel Lampedusa bestürzt. Dort waren zu Monatsbeginn über 400 Menschen ums Leben gekommen. Berlin hält an der als Dublin-II bekannten EU-Regelung fest, wonach das Land, in dem ein Flüchtling die EU erreicht, für das Asylverfahren und die Unterbringung verantwortlich ist.
Bereits zu Monatsbeginn hatten die europäischen Innenminister beschlossen, eine Expertengruppe (Task Force) einzurichten. Sie soll finanzielle Hilfe, Unterstützung beim Grenzschutz und die Zusammenarbeit mit nordafrikanischen Herkunftsländern ausloten.
Die Hilfsorganisation Pro Asyl warf den EU-Ländern vor, auch nach den Katastrophen im Mittelmeer die bisherige Abschottungspolitik weiter perfektionieren wollen. „Vor diesem Hintergrund sind die zu erwartenden Betroffenheitserklärungen absolut unglaubwürdig“, sagte Günter Burkhardt, Geschäftsführer von Pro Asyl.
Laut EU-Anti-Terror-Koordinator Gilles de Kerchove muss die EU mehr in Afrika tun - wie etwa in Mali oder Libyen. „Wenn Europa nicht mehr für Afrika tut, werden wir weiterhin Flüchtlingsdramen wie zuletzt vor Lampedusa erleben“, sagte er der Tageszeitung „Die Welt“. „Wir müssen vor Ort Polizei und Justiz ausbilden“, so de Kerchove.
Schwierige Diskussionen beim Gipfel-Abendessen am Donnerstag dürfte es beim Thema Bankenunion geben. Dazu ist EZB-Chef Mario Draghi geladen. Der Patron der Europäischen Zentralbank (EZB) wird dem Vernehmen nach die Staatenlenker aufrufen, sich auf die gemeinsame Bankenaufsicht und die damit verbundenen Bilanzchecks der 124 größten Geldhäuser im Euroraum vorzubereiten. Dazu gehören auch Vorkehrungen, Instituten aus der Patsche zu helfen, die bei den Tests durchfallen.
Die Bundesregierung bekräftigte noch einmal die Rechte der nationalen Parlamente bei der Rettung oder Schließung maroder Banken. Es dürfe nicht sein, dass die nationale Haushaltsautonomie ausgehebelt werde. Nicht nur Deutschland habe Probleme mit den bisherigen Vorschlägen der EU-Kommission zu einem Abwicklungssystem für wackelnde Banken, sondern auch andere Staaten.
Nach Informationen der „Süddeutschen Zeitung“ könnte Berlin aber unter bestimmten Bedingungen seine Zustimmung zu einem gemeinsamen Abwicklungsmechanismus geben. So sollen nur die rund 130 größten Banken betroffen sein.
Im Straßburger Parlament schwelte unterdessen der bittere Budgetstreit weiter. Parlamentarier warnten vor einer drohenden Zahlungsunfähigkeit der Union. Umstritten ist weiter ein Nachtragsbudget für das laufende Jahr von 3,9 Milliarden Euro. Die Regierungen hatten bereits 2,7 Milliarden Euro zusätzliche Mittel bewilligt, die jedoch das Loch nur teilweise stopfen. Wegen des Streit ist auch der langfristige Finanzrahmen für die Union, der bis zum Ende des Jahrzehnts läuft, immer noch nicht in trockenen Tüchern.