Regierungsbildung Union drückt aufs Tempo und will rasche GroKo-Sondierungen
Berlin (dpa) - Nach dem Scheitern von Jamaika hat sich die Union bei einem ersten Spitzentreffen mit der SPD für rasche Sondierungen über eine erneute große Koalition ausgesprochen.
„Die Vertreter von CDU und CSU haben deutlich gemacht, dass sie gemeinsam mit der SPD Sondierungen zur Bildung einer stabilen Regierung aufnehmen wollen“, teilten Union und SPD nach dem zweieinhalbstündigen Gespräch in Berlin mit. Die SPD will darüber am Freitag in ihren Gremien entscheiden.
Kanzlerin Angela Merkel (CDU), der SPD-Vorsitzende Martin Schulz und CSU-Chef Horst Seehofer sowie die Spitzen beider Fraktionen hatten sich zuvor zu einem ersten Gedankenaustausch getroffen. Schulz und die SPD-Fraktionschefin Andrea Nahles trafen sich danach noch zu einer Nachbesprechung. Zuvor gab es Kritik aus der Union, die Sozialdemokraten sollten nicht mit immer neuen Vorschlägen die Bildung einer stabilen Koalition erschweren.
In der Erklärung war von einem „offenen und vertrauensvollen Gespräch“ die Rede, konkrete Ergebnisse wurden zunächst nicht bekannt. Streitpunkte sind unter anderem das von der SPD geforderte Ende einer „Zwei-Klassen-Medzin“ und die Frage, ob ab dem Frühjahr wieder ein Familiennachzug bei Flüchtlingen zum Beispiel aus Syrien möglich sein soll, was die CSU ablehnt. Hinzu kommt die von der SPD geforderte höhere Steuer für Reiche. Weitgehend einig ist man sich bei mehr Investitionen in Pflege, Wohnungsbau sowie einer Stärkung von Polizei und Justiz angesichts der neuen Herausforderungen.
Schulz hatte nach der Bundestagswahl und dem Jamaika-Aus zwei Mal den Gang in eine große Koalition ausgeschlossen. Er begründete das mit den herben Verlusten der SPD bei der Bundestagswahl, als die Partei nur noch auf 20,5 Prozent kam. SPD-intern wurde der Profilverlust in der großen Koalition dafür mitverantwortlich gemacht. Es gibt massive Widerstände in der Partei.
Über die Aufnahme von konkreten Koalitionsverhandlungen müsste Mitte Januar ein Sonderparteitag entscheiden. Am Freitag entscheidet der Vorstand, ob man sondieren will. Dies soll in jedem Fall ergebnisoffen geschehen und auch die Möglichkeit einer Minderheitsregierung Merkel einschließen, in der die Union alle Minister stellt, sich aber für alle Projekt Mehrheiten im Bundestag suchen muss. Merkel lehnt das als zu instabil ab.
CSU-Chef Horst Seehofer hatte SPD-Überlegungen zu einer Koalition, in der nur einige Dinge fest verabredet werden, aber zur eigenen Profilschärfung auch Projekte mit anderen Parteien durchgesetzt werden können, als Vorschlag „aus der Krabbelgruppe“ bezeichnet. SPD-Vize Natascha Kohnen sagte dazu: „Der politische Umgang von Horst Seehofer lässt schon zu wünschen übrig.“ Dem Radiosender Bayern 2 sagte sie, beide Seiten sollten sachlich in die Gespräche gehen „und nicht schon beginnen, das Gegenüber zu beschimpfen“.
Dreieinhalb Wochen nach dem Aus der Jamaika-Verhandlungen zwischen Union, FDP und Grünen wollten die angeschlagenen Vorsitzenden Merkel, Seehofer und Schulz ausloten, ob es überhaupt Chancen für eine gemeinsame Regierung gibt.
Das von der SPD-Linken ins Spiel gebrachte Modell einer sogenannten Kooperationskoalition („Koko“), die in weiten Themenbereichen mit wechselnden Mehrheiten regiert, stößt in der Union auf strikte Ablehnung. Scheitern alle Bemühungen um eine Regierungsbildung, bliebe eine vorgezogene Neuwahl als Ausweg.
SPD-Vizechef Ralf Stegner sagte im Deutschlandfunk zum Thema „KoKo“, man müsse „darüber doch einmal vernünftig reden, ob das ein Modell sein kann“. Der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) machte im Radiosender NDR-Info deutlich, diese Frage stelle sich erst, wenn sich SPD und Union in wichtigen Fragen nicht einigen könnten. „Wenn wir in allen Punkten Einvernehmen erzielen, dann würde mich das freuen. Und das würde dann sicherlich weniger Argumente liefern für die Frage einer modifizierten Regierungsbeteiligung.“
Bundestagsvizepräsident Thomas Oppermann (SPD) gab seiner Partei per Twitter zu bedenken, dass sie bei einer solchen Teilkoalition nur wenig zu bestellen habe: „Bei wechselnden Mehrheiten hat die linke Mitte in einem Bundestag mit einer rechten Mehrheit von über 400 Mandaten nur wenig zu bestellen.“ Seehofer hatte erklärt, er halte von dem SPD-Vorstoß gar nichts. „Man kann nicht zum Teil regieren und zum anderen Teil opponieren. Das geht nicht.“
Die deutsche Wirtschaft wird wegen der schleppenden Regierungsbildung langsam ungeduldig. „Wir müssen wissen, wohin die Reise geht“, sagte der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Dieter Kempf, den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Auch der Sozialverband VdK Deutschland forderte ein Ende des Stillstands.