Union und FDP beschwören in der Not Koalitionstreue

Berlin (dpa) - Niederlagen können zusammenschweißen: Nach dem FDP-Absturz in Berlin beteuert Parteichef Rösler den Willen zur Fortsetzung von Schwarz-Gelb. Die Kanzlerin schlägt in dieselbe Kerbe. Doch die Opposition ist sich sicher: Diese Regierung ist am Ende.

„Die Koalition arbeitet“, sagte dagegen Kanzlerin Angela Merkel trotz des schwelenden Streits um die richtige Euro-Politik. Spekulationen über ein vorzeitiges Aus wies die CDU-Vorsitzende zurück. FDP-Chef Philipp Rösler betonte, seine Partei übernehme für die volle Wahlperiode bis 2013 Verantwortung. Hart blieb er bei seiner Haltung in der Euro-Schuldenkrise. Führende Freidemokraten verlangten aber eine stärkere Profilierung innerhalb der Regierung.

SPD und Grüne versuchten am Montag nach dem 1,8-Prozent-Desaster der FDP bei der Berliner Abgeordnetenhauswahl, einen Spalt ins Regierungslager zu treiben. Sie seien bereit, bei einem Bruch der Koalition wegen der Euro-Frage eine Minderheitsregierung der Union zu stützen, wenn es anschließend rasche Neuwahlen gebe. Die SPD sah sich auf ihrem Weg zur Ablösung von Schwarz-Gelb bestätigt.

In Berlin begann nach dem Sieg von SPD-Regierungschef Klaus Wowereit der Koalitionspoker. Wowereit hat nach leichten Verlusten die Wahl zwischen Rot-Grün und Rot-Schwarz. Nachdem er am Sonntag eine Präferenz für die Grünen hatte erkennen lassen, sagte er nun, es komme in einer Koalition auf Stabilität und Vertrauen an. Als erstes will die SPD an diesem Mittwoch mit den Grünen Sondierungsgespräche führen, für Donnerstag hat sie die CDU eingeladen. SPD und Grüne hätten zusammen einen Sitz mehr als die absolute Mehrheit, Rot-Schwarz käme auf eine weitaus komfortablere Mehrheit.

Nach dem vorläufigen amtlichen Endergebnis kommt die SPD auf 28,3 Prozent (minus 2,5). Die CDU wird zweitstärkste Kraft mit 23,4 Prozent (plus 2,1). Dahinter liegen die Grünen mit 17,6 Prozent (plus 4,5), die Linke mit 11,7 (minus 1,7) und die FDP mit 1,8 (minus 5,8). Die Piratenpartei erreichte 8,9 Prozent. Dies ergibt folgende Sitzverteilung: SPD 48, CDU 39, Grüne 30, Linke 20, Piratenpartei 15. Die Wahlbeteiligung betrug 60,2 Prozent (2006: 58,0).

Die 15 künftigen Abgeordneten der Piratenpartei kündigten eine ernsthafte Politik an. Sie wollen sich für mehr Mitspracherechte der Bürger einsetzen. Zugleich räumten die bisher vor allem auf Internetthemen spezialisierten Piraten inhaltlichen Nachholbedarf ein. Ihr Bundeschef Sebastian Nerz sagte dem Sender MDR Info: „Wir haben jetzt die Möglichkeit, im Parlament zu demonstrieren, dass wir wirklich Politik machen können und nicht nur darüber reden.“

Merkel sagte zum Zustand der Koalition: „Ich glaube, dass wir unsere Regierungsarbeit fortsetzen werden, und ich glaube nicht, dass etwas schwieriger wird.“ Neben den Euro-Themen habe man eine Menge Arbeit etwa bei der Haushaltskonsolidierung oder in der Bildung vor sich. „Ich glaube, dass alle Koalitionspartner um ihre Aufgaben wissen und mit großer Ernsthaftigkeit ihre Aufgaben erfüllen werden.“ Eine gesonderte Klausur, bei der der Streit mit der FDP und mit der CSU ausgeräumt werden könnte, hält die Kanzlerin nicht für notwendig.

Deutlich wurde, dass die Meinungsverschiedenheiten in der Koalition nicht ausgeräumt sind. Ohne Rösler beim Namen zu nennen wiederholte Merkel, jeder müsse bei der Bewältigung der Euro-Schuldenkrise seine Worte vorsichtig wägen. „Ich denke, dass jeder um seine Verantwortung weiß.“ Sie stehe zudem zu dem Satz: „Scheitert der Euro, scheitert Europa.“ CSU-Chef Horst Seehofer hatte einen solchen Zusammenhang zuvor bestritten. Merkel sagte, über diesen Dissens müsse gesprochen werden.

Rösler bekräftigte seine Position in der Euro-Schuldenkrise, wiederholte aber nicht die besonders umstrittenen Gedankenspiele über eine geordnete Insolvenz Griechenlands. Seine Haltung sei „pro europäisch mit der notwendigen wirtschaftspolitischen Vernunft“. Dem Parteichef war wegen euroskeptischer Äußerungen vor der Berliner Wahl Populismus vorgehalten worden. Die FDP müsse nach dem Wahlausgang jetzt erst recht für liberale Themen werben. Die FDP war in Berlin zum fünften Mal in diesem Jahr aus einem Landesparlament geflogen.

Mehrere führende FDP-Politiker auf Landes- und Bundesebene verlangten eine stärkere Profilierung innerhalb der Koalition. Der schleswig-holsteinische FDP-Fraktionschef Wolfgang Kubicki und der sächsische FDP-Chef und Bundesvize Holger Zastrow forderten, die Partei müsse mit „klarer Kante“ aus der Krise kommen. Kubicki sagte, das Thema Griechenland und Euro-Rettungskurs dürfe „nicht den anderen überlassen“ werden. Er hatte kürzlich bemerkt, die Marke FDP habe nach Einschätzung der Wähler derzeit „verschissen“.

SPD-Chef Sigmar Gabriel sagte, das „tolle Ergebnis“ in Berlin stärke das Selbstvertrauen seiner Partei auch für 2013. Schwarz-Gelb sieht er am Ende: „Die werden, glaube ich, nicht mehr zueinander finden.“ Das FDP-Ergebnis wertete Gabriel als Quittung für deren euroskeptischen Kurs. Die FDP habe spüren müssen, „dass man mit einer platten Anti-Europa-Politik in Deutschland keine Wahlen gewinnt“.

Die Grünen-Bundesspitze kündigte Konsequenzen aus dem für die Partei enttäuschenden Abschneiden an. „Da haben wir deutlich nachzubessern“, sagte die Vorsitzende Claudia Roth.

Die Spitze der Linkspartei räumte nach der Wahlschlappe Fehler ein. „Eine Partei, die zerstritten erscheint, ist bei Wahlen nicht attraktiv“, sagte Parteichef Klaus Ernst. Die Linke hatte sich in Auseinandersetzungen über die Israel-Politik, die Haltung zum Kommunismus, den Mauerbau und ein Glückwunschschreiben an Fidel Castro aufgerieben.